Staat versus Familie – Kindesentzug in Norwegen

Foto: Flickr / CC BY-ND 2.0 (Ausschnitt)

Eigentlich ist die norwegische Behörde Barnevernet für Kinder- und Jugendschutz zuständig. In Wirklichkeit zerreißen und vernichten sie viele Familien durch ungerechtfertigten Kindesentzug. Seit Jahren wird Barnevernet dafür von internationalen Medien und Organisationen kritisiert. Geändert hat sich jedoch bisher wenig.

Diese Nachricht wurde aufgrund der weltweiten Corona-Krise kaum wahrgenommen: Anfang März verurteilte der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Norwegen bereits zum siebten Mal wegen Verstößen gegen das „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention). Auch in den beiden jüngsten Fällen ging es um Kindesentzug durch die Behörde Barnevernet.

Keine echten Gründe für Kindesentzug

Diese sorgt bereits seit Jahren für Skandale. Immer wieder nimmt die Behörde Kinder aus ihren Familien, obwohl keine oder nur unzureichende Gründe vorliegen. Zum Beispiel wurde 2008 der Mutter Strand Lobben ihr damals drei Wochen altes Kind entzogen, nachdem sie Barnevernet um Unterstützung gebeten hatte. 2015 wurden der Familie Bodnariu ihre fünf Kinder entzogen, weil Barnevernet behauptete, sie würden ihre Kinder im christlichen Glauben „indoktrinieren“. 2018 verlor die Familie Shutakova ihre drei Kinder,  nachdem die Eltern ihrer elfjährigen Tochter ihr Smartphone aufgrund schlechten Benehmens vorrübergehend weggenommen hatten.

Diese beinahe unglaublichen Beispiele sind jedoch keine Einzelfälle. Eine Untersuchung des moldawischen Europaabgeordneten Valeriu Ghiletchi von 2018 wirft Licht auf die fragwürdige Arbeit von Barnevernet: Im Verdachtsfall muss ein Antrag auf Inobhutnahme bei einer quasi-gerichtlichen Behörde („County Social Welfare Board“) gestellt werden. Dabei werden der Untersuchung zufolge in durchschnittlich 90 Prozent der Fälle die Anträge angenommen und die Kinder entzogen. Davon können 50 bis 60 Prozent später wieder zu ihren Familien zurückkehren, oft vergehen aber viele Jahre.

Die Zahl der Inobhutnahmen stieg von 2008 bis 2013 um 70 Prozent und fiel bis 2017 nur um 17 Prozent. Im Durchschnitt entzieht Barnevernet vier bis fünf Kinder pro Tag. Dabei besitzen nur 80 Prozent der Mitarbeiter eine entsprechende berufliche Qualifikation. Weitere Probleme sind die häufigen Wechsel von Pflegefamilien, die Trennung von entzogenen Geschwistern sowie die sehr kurzen Besuchszeiten der leiblichen Eltern von meist nur acht Stunden jährlich. Ausländischen Kindern wird es zudem untersagt, ihre Muttersprache zu sprechen.

Wachsende internationale Kritik

Die Kritik an der Praxis von Barnevernet zieht immer größere Kreise: Die österreichische Initiative „Step up 4 Children’s Rights“ und die Petitionsplattform CitizenGO machten mit zahlreichen Kundgebungen vor norwegischen Botschaften, Online-Aktionen und Petitionen auf konkrete Fälle des Amtsmissbrauchs durch Barnevernet aufmerksam. Die Rechtsanwälte von „ADF International“ vertreten die Familien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechtsanwälte von „Ordo Iuris“ stellten jüngst ein juristisches Gutachten über Barnevernet vor. Auch die polnischen Behörden äußerten sich indirekt, als sie 2019 einer Mutter Asyl gewährten, die fürchtete, Barnevernet könnte ihr Kind in Obhut nehmen.

Es klingt paradox, dass Norwegen häufig als sehr fortschrittlich und vorbildlich in der Verwirklichung von „Kinderrechten“ dargestellt wird und beispielsweise auf dem „KidsRights Index“ sowie der „Weltkarte des Respekts“ zu den Ländern zählt, die in puncto „Kinderrechten“ weltweit am besten abschneiden. Diese Tatsache bestätigt einmal mehr die Kritik von DemoFürAlle sowie vieler deutscher Rechtsgutachten an einer Verankerung von gesonderten „Kinderrechten“ in der Verfassung, was staatlichen Behörden weitreichende Eingriffe in das Familienleben ermöglicht – auch gegen den Willen der Familien.

Die erschreckenden Beispiele rund um Barnevernet zeigen deutlich, dass nicht der Staat und seine Behörden, sondern die Eltern die primären Anwälte der Kindesinteressen sein müssen. Denn in aller Regel lieben Eltern ihre Kinder und wissen am besten, was gut für sie ist. Für die Ausnahmefälle gibt es ein staatliches Wächteramt (Art. 6 GG), das das natürliche Elternrecht ergänzt.

In seiner Untersuchung warnt der Abgeordnete Ghiletchi daher mit drängenden Fragen: „Wenn Familien nicht länger als wichtig erachtet werden, könnte der Staat die Illusion erwecken, dass er Kindern eine ‚bessere‘ Familie bieten könne. (…) Was ist eine ‚ausreichend gute‘ Fürsorge in den Augen der Gesellschaft? Werden wir vielleicht ‚überfürsorglich‘ gegenüber Kindern, und fordern wir etwa ‚perfekte‘ Eltern? Sind Eltern die ‚letzten Feinde‘ in einer demokratischen, säkularisierten Gesellschaft, in der das soziale Konstrukt existiert, dass man eine Familie ‚herstellen‘ kann?“

Für weitere Informationen: Im September 2016 veröffentlichte ARTE eine Reportage über Barnevernet:

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