Die Angst vor der Retraditionalisierung

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Sabine Menkens schreibt in ihrem Artikel vom 5. Mai 2020 in DIE WELT über neue und doch sehr alte Geschlechterrollen, die „dank“ Corona aufbrechen und ganz offensichtlich Angst auslösen. Ich frage mich, warum eine Gesellschaft Angst haben soll, sobald Mütter sich um ihre Kinder kümmern? Ein Beitrag von Romy Richter, Nestbau e.V.

Ist es nicht genau das, was Kinder, Erzieher, Lehrer, Kinderpsychologen und Therapeuten sich längst wünschen? Mehr Engagement und Interesse von Seiten der Elternschaft? Wovor also sollen wir Angst haben? Etwa davor, dass Frauen der „Heimarbeit“ eventuell den Vorzug vor der Berufstätigkeit geben könnten? Oder davor, dass sie künftig im Beruf kürzertreten werden, um sich ausgiebiger um die Kinder kümmern zu können? Angst, dass alle bisherigen Gleichberechtigungserrungenschaften nun stagnieren und den Eltern das Wohl der Familie wieder wichtiger wird als die Anpassung an Gender Mainstreaming? Angst, dass sie dem Druck, den Arbeitgeber und Medien ausüben, standhalten und endlich auf ihr Herz hören? Dass Eltern das Handtuch werfen und Vereinbarkeit endlich Vereinbarkeit sein lassen, damit mehr Zeit bleibt für die wirklich wichtigen Dinge im Leben?

Der Artikel beschreibt meines Erachtens wie das Missverhältnis zwischen politisch bzw. ideologisch geforderter Gleichberechtigung und den Anforderungen eines realen Familienalltages jetzt knallhart zu Tage tritt. Anstatt die sog. „Retraditionalisierung“ anzuprangern und weiterhin auf gleichberechtigte Kinderbetreuung und Berufstätigkeit zu pochen, sollte endlich wahrgenommen werden, dass vielen Familien damit auf Dauer definitiv zu viel abverlangt wird und nichts dagegen einzuwenden ist, wenn Eltern sich dafür entscheiden, die Erziehungs- und Bildungsarbeit persönlich zu leisten.

Wichtig ist, dass es der Familie gut geht

„Wie in früheren Zeiten arbeiteten die Frauen (jetzt) viel mehr für das Wohlergehen der Familie“ heißt es im Artikel. Was ist dagegen einzuwenden? Es ist doch wunderbar, wenn sie sich um ihre Familien kümmern. So sollte es sein. Und „dass Mütter ihre Arbeit aufgrund der Pandemie stärker zugunsten der Kinderbetreuung einschränken als Väter“, kann doch tatsächlich nur die Gleichberechtigungsfanatiker stören. Einer muss doch das Geld verdienen und da Männer weiterhin vergleichsweise besser verdienen als Frauen ist es nur logisch, dass sie in ihrem Beruf arbeiten. Zudem ist es eine ganz private Entscheidung, wer von den Eltern wie viel Zeit in Beruf oder Kinder steckt, solange beide Elternteile damit zufrieden sind.

Übrigens ist es tatsächlich klüger, alle anfallenden innerfamiliären Aufgaben entsprechend persönlicher Begabungen und Fähigkeiten zu verteilen, anstatt sich dabei an der Gender-Ideologie zu orientieren. Wichtig ist, dass es der Familie gut geht. Außerdem hätten „schon vor der Krise in Paarhaushalten die Mütter den Großteil der Sorgearbeit übernommen.“ Also: Wo ist das Problem? Kein Kind wird sich je daran stören – im Gegenteil. Aber vermutlich geht es gar nicht um die Kinder – worum dann?

„Wegen der Kita-Schließungen stecken vor allem Mütter beruflich zurück, um den Betreuungsbedarf aufzufangen“, wogegen eigentlich nichts einzuwenden wäre. Aber: „Frauen werden so in traditionelle Geschlechterrollen gedrängt.“ Ehrlich? Vielleicht tun sie es auch freiwillig, einfach der Kinder wegen? Weil sie gern welche haben und sich zudem auch gern selbst um sie kümmern? „Dies kann zu langfristigen Nachteilen im Erwerbsleben für sie führen.“ Aha, jetzt kommen wir der Sache schon näher. Zu dumm nur, dass Eltern eben nicht nur ihr Erwerbsleben im Blick haben können, sondern auch auf das Wohl ihrer Familie sehen wollen.

Die Retraditionalisierung sollte gefeiert werden

Vor diesem Hintergrund könnte Corona es vielleicht schaffen, mit allen Vereinbarkeitslügen aufzuräumen: Auf Dauer kriegen wir Kinder und Beruf eben nicht in gleich guter Qualität auf die Reihe. Entweder nehmen wir die Nachteile im Job oder zuhause in Kauf. Eltern werden immer Gefahr laufen, von einer Seite vom Pferd zu fallen: Sie werden den Kindern nicht gerecht oder dem Arbeitgeber. Und das ist nichts Neues, das gab es schon immer.

Nicht umsonst zeigen „Die Antworten von Tausenden von Frauen und Männern auf die WZB-Umfrage corona-alltag.de eindringlich, dass die Zufriedenheit mit der Arbeit und dem Leben insgesamt bei Müttern noch stärker zurückgegangen ist als bei Vätern.“ Weil vor allem Mütter sich im Vereinbarkeitswahn einer Doppelbelastung hingeben, der sie ganz offensichtlich auf Dauer nicht gewachsen sind. Genau aus diesem Grund sollte die „Retraditionalisierung“ im Sinne einer Rückbesinnung von Müttern auf ihre Verantwortung gegenüber Kindern und Haushalt nicht angeprangert, sondern gefeiert, gewürdigt oder zumindest akzeptiert werden. Denn „dass für Eltern in der Regel die Elternrolle nur eine Aufgabe unter anderen ist, die sie bewältigen müssen“ ist keines Lobes wert, oder?

Was Helen Knauf, Professorin für Bildung und Sozialisation im Kindesalter, nicht gern sieht, ist die Tatsache, dass „durch die Pandemie die Zuständigkeit für das Aufwachsen der Kinder wieder zu einer reinen Privatsache geworden“ ist.

Kindererziehung gehört nicht in staatliche Hände

Schließlich habe „die politisch gewollte und öffentlich geförderte Familieninfrastruktur seit den 90er-Jahren wesentlich dazu beigetragen, dass das Leben mit Kindern zu einer gemeinsamen gesellschaftlichen Aufgabe geworden sei.“ An dieser Stelle möchte ich unbedingt anmerken, dass Familie und Kindererziehung Privatangelegenheiten sind, die nicht in staatliche Hände gehören. Politik und Wirtschaft haben sich nur aus einem Grund vehement in die Betreuung der Kinder eingemischt: Dass die Eltern abkömmlich werden und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Auch hier steht keinesfalls das Kindeswohl im Vordergrund.

Es bleibt zudem zu hinterfragen, ob diese Form der Infrastruktur überhaupt mehrheitlich von den Eltern, insbesondere den Müttern, gewünscht war. Ich sehe im Schnitt keinerlei Verbesserung für die Kinder oder das Familienklima, die sich aus der „gesamt-gesellschaftlichen Zusammenarbeit“ heraus ergeben haben – im Gegenteil. Ich beobachte eine große Verunsicherung darüber, wer in welchem Maß für die Kinder zuständig und verantwortlich ist: Viele Eltern verlassen sich mittlerweile auf die sog. „Fachkräfte“, die Fachkräfte wiederum verweisen an die Eltern – und wer kümmert sich wirklich?

Ich freue mich, dass das, was Mütter während der Coronazeit in ihren Familien leisten, als ein Teil althergebrachter Tradition wahrgenommen und benannt wird. Ich möchte davor warnen, diese mütterlichen Bemühungen zu diffamieren – vor allem solange kein Beweis dafür erbracht werden kann, dass unsere Kinder ohne das liebevolle Engagement ihrer Eltern wirklich besser aufwachsen und gedeihen.