Damit die Geschichten der Opfer zählen – Symposium zur Aufarbeitung von Kindesmissbrauch

Über Jahrzehnte bestand in Berlin und ganz Deutschland ein breites pädosexuelles Netzwerk aus staatlichen und privaten Institutionen, Parteien, Gruppierungen, Wissenschaftlern und einzelnen Aktivisten. Zu diesem erschütternden Ergebnis kam Anfang des Jahres eine Vorstudie, deren Erkenntnisse und weitergehende Fragestellungen nun auf einem Symposium der Öffentlichkeit präsentiert wurden.

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Die „Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ hat am 1. Juni 2021 gemeinsam mit dem Schwulen Museum Berlin ein Symposium veranstaltet, das auf der im Februar diesen Jahres publizierten Vorstudie über pädosexuelle Netzwerke in Berlin aufbaut. Durch die Pandemiebestimmungen konnte das Symposium nur online ausgerichtet werden, allerdings bestand für angemeldete Zuschauer die Möglichkeit Fragen zu stellen.

Transparenz und Ehrlichkeit

Während der Vorträge und Podiumsdiskussionen kristallisierte sich besonders der Standpunkt der Opfer Ingo Fock und Angela Marquardt (Politikerin, von 1990-2003 PDS, seit 2008 SPD) heraus, die betonten, wie wichtig es sei, den Betroffenen Gehör und Gerechtigkeit – auch in juristischer Hinsicht – zu verschaffen. Sie bemängelten, daß aus den „Geschichten die zählen“ (Motto der Aufarbeitungskommission) keinerlei oder zu milde Konsequenzen für die Täter entstünden. Auch gebe es immer noch nicht ausreichend Transparenz bezüglich der Namen der Täter. Institutionen, Parteien usw. würden nach wie vor Personen decken – teils aufgrund mangelnder Möglichkeiten, teils durch Unwillen. Angela Marquardt forderte, daß Täter auch in der Öffentlichkeit unter Druck gesetzt werden müßten: „Unter vier Augen sprechen kann jeder“, stellte sie fest.

Ein Spinnennetz des Kindesmißbrauchs

Ingo Fock und einer der Verfasser der Vorstudie, Sven Reiß, sprachen mit Blick auf die Vernetzung der Pädophilen von „ein(em) Spinnennetz mit Knotenpunkten“ in den großen Städten, neben Berlin z.B. Hamburg, Frankfurt am Main und München. Die „Spinnweben“ des Kindesmißbrauchs haben seit den 1970er Jahren demnach also nicht nur Berlin durchzogen, sondern sich innerhalb der Bundesrepublik, später auch inklusive der neuen Bundesländer, erstreckt. Darüber hinaus konnte die Studie auch belegen, wie frappant und nicht zu leugnen die Verstrickungen von Homosexuellenbewegung und Pädosexuellen waren.

Kommissionsmitglied Matthias Katsch, Mitbegründer und Sprecher der Initiative Eckiger Tisch und selbst homosexuell, appellierte an Zeugen sowie Mitwisser der pädophilen Machenschaften, sich der Verantwortung zu stellen, da nicht nur Institutionen oder Parteien der Komplizenschaft schuldig seien. In der Berliner Schwulenszene im Bezirk Schöneberg wußten zum Beispiel alle Passanten, was die Jungen auf der Straße gemacht haben. Konsens bestand unter den Referenten darin, daß kein Interesse mehr an den Aussagen der Täter bestünde, sondern es vielmehr dringend notwendig wäre, einerseits die Aufarbeitung aller Fälle, andererseits die Unterstützung der Opfer des Mißbrauchs voranzutreiben – auch finanziell. Personen- und Datenschutz würden dies bislang erschweren bis unmöglich machen.

Die Rolle der Schwulenszene

Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Schwulen Museum in Berlin und seinen Mitarbeitern Dr. Peter Rehberg und Dr. Birgit Bosold zu. Den Erstellern der Studie, Sven Reiß und Iris Hax, wurde trotz vereinzelter Kritik insbesondere älterer Communitymitglieder stets freier Zugang zu allen Materialien und dem Archiv gewährt, wodurch eine sehr gute Zusammenarbeit ermöglicht wurde. Strafrechtlich relevante Objekte, etwa Mißbrauchsabbildungen, die bis in die 2010er Jahre von teilweise bekennenden Pädophilen dem Museum überlassen worden sind, wurden der Polizei übergeben.

Das Schwule Museum strebt nun eine vollständige Aufarbeitung an, plant eine Ausstellung über die Opfer sexuellen Mißbrauchs, betont aber auch, daß es nach wie vor viel Forschungsbedarf über die Solidarisierung der Homosexuellenszene mit den Pädophilen gibt. Sie hätten sich als eine Minderheit der Minderheit empfunden, wurden so aufgenommen und etablierten sich dann mithilfe von unter anderem Verlagen, Galerien, Magazinen etc. Birgit Bosold schlägt deshalb dringend „eine kritische Reflexion und Revision der Geschichte der queeren Bewegung“ vor.

Verstrickung der politischen Bewegung in Forschung und Politik

In ihrem Vortrag kam Prof. Dr. Meike Baader unter anderem zu dem brisanten Schluß, daß möglicherweise noch heute innerhalb der Wissenschaft mit Lehrmaterialien, die pädophiles Gedankengut beinhalten, geforscht und unterrichtet würde. In den 1970er/80er Jahren legitimierten Teile der Erziehungswissenschaften, Sozialpädagogik und Sexualwissenschaften quasi den Eintritt der Pädophilie als gesellschaftlich akzeptable Strömung, der der Berliner Senat, die Ämter und die Behörden dann schlußendlich Tür und Tor, z.B. durch Zulassung des „Kentler-Experiments“, öffneten. Baader bestätigte die Mitwisserschaft des Berliner Senats und sprach in diesem Zusammenhang von einem Politikum.

Die Referenten waren sich einig darin, daß pädosexuelle Gewalt an Kindern in allen Gesellschaftsschichten vorkomme, „aus der Mitte der Gesellschaft“ stamme und demzufolge schwer verfolgbar sei, insbesondere bei nicht-hierarchischen Organisationen, auch nachdem Jahre oder Jahrzehnte vergangen sind. Eine Offenlegung, Aufarbeitung, sowie juristische Verfolgung sei unvermeidbar und noch längst nicht abgeschlossen.

Bild: Marie-Lan NguyenKiss Briseis Painter Louvre G278, bearbeitet. Public domain, via Wikimedia Commons