Sie werden unterdrückt und ausgebeutet. Sie müssen sich permanent für Sexarbeit zur Verfügung halten und sollen ihren Peinigern dankbar zu Füßen liegen. Die Rede ist von verheirateten Frauen in westlichen Gesellschaften. Die feministische Aktivistin Emilia Roig lässt in ihrem Buch „Das Ende der Ehe – Für eine Revolution der Liebe“ keinen Zweifel daran, dass Ehefrauen – vor allem die scheinbar glücklich verheirateten, die sich selbst für emanzipiert halten – ein modernes Sklavendasein fristen. Denn das patriarchale System der Unterdrückung sei ein historisch gewachsenes und sozial tief verankertes. Die Ungerechtigkeiten seien institutionalisiert und festgefahren in sämtlichen Lebensbereichen, von der familiären Care-Arbeit bis zur Verhütungsfrage.
Roig ist das aktuelle Lieblingskind unserer Leitmedien. Der Aufkleber „SPIEGEL Bestseller Autorin“ ziert ihr bei Ullstein veröffentlichtes Pamphlet, das derzeit eine beispiellose PR-Kampagne erfährt und von linken Medienkonzernen rauf und runter gelobt wird. Spiegel, Süddeutsche und Co. feiern die Kampfansage an das verhasste Patriarchat, den Abgesang auf das Eheversprechen, das erhoffte Verschwinden einer heiligen Institution.
Roig erforscht sonst eigentlich Intersektionalität. Das heißt, sie interessiert sich für das Ineinandergreifen aller Arten von Diskriminierung. Eine schwarze Ehefrau etwa wäre sowohl rassistischer Diskriminierung als auch patriarchaler Unterdrückung ausgesetzt. Als Frau begegnet ihr aller Orten Sexismus. Und falls sie sich nach der Überwindung ihrer Ehe als lesbisch outet, oder besser noch als trans, erklimmt sie den Olymp der diskriminierten Minderheiten. Der Leser darf also mehr erwarten als ein feministisches Lamento über „Ungleichheit und Unterdrückung“ von in ihren Ehen gefangenen Frauen. „Um das Ende des Patriarchats einzuleiten“, heißt es im Klappentext, müsse nicht nur die Ehe abgeschafft, sondern „das Diktat heterosexueller Paarbeziehungen beendet werden.“
Roig kann schreiben. „Der Tag meiner Hochzeit war einer der schönsten Tage meines Lebens“ und „Im Kern geht es beim Feminismus um nichts anderes als Liebe“ lauten die ersten Sätze im Prolog und in der Einleitung. Sätze, die reinziehen in eine Denkwelt, die von einer tiefen Abneigung gegenüber Männern, glücklich verheiraten Frauen (sie sind eigentlich unglücklich und unterdrückt, erkennen das nur noch nicht) und gegenüber Vater-Mutter-Kind-Familien geprägt ist.
Die Politologin meint es eigentlich gut mit allen Menschen. Männer, insbesondere Väter in Kernfamilien scheinen eine andere Kategorie Lebewesen zu sein. Die Familie sei der Ort, „an dem patriarchale Gewalt am häufigsten und massivsten ausgeübt wird“. In jeder Schulklasse säßen unbemerkte Missbrauchsopfer, doch das patriarchale System der Gesellschaft schütze die überwiegend männlichen Täter aus dem Kreise der Familie. Väter, die Frau und Kinder als ihren Besitz wahrnehmen und so behandeln, sind Roigs Feindbild und das lauert überall und nebenan – also bei Schmidts, bei Lehmanns und Müllers? Eine Differenzierung, ob das zu Recht Angeprangerte eventuell etwas häufiger hinter den Türen stattfindet, deren Klingelschilder unaussprechliche Namen tragen, ist nicht Roigs Anliegen.
„Da muss man nicht argumentieren“
In einem Interview mit der Welt kommt diese Frage direkt auf: „Zwang und Abhängigkeiten gibt es vermehrt in außereuropäischen Gesellschaften oder auch im Islam. Weshalb die Konzentration auf den Westen?“ Die Gründerin des Center for Intersectional Justice e.V. antwortet lapidar: „Ich lebe hier und war hier verheiratet. Wir reden viel zu selten über das Patriarchat hierzulande. (…) Über den anderen Teil der Welt können Frauen reden, die dafür besser ausgerüstet sind.“
Wie gut sind Frauen „ausgerüstet“, die von Kindesbeinen an tatsächlich die Gewalt der frauenverachtenden Kultur erfahren, in der sie leben? Könnten sie nicht etwas feministische Schützenhilfe aus dem Westen vertragen? Geschenkt – man muss schließlich nicht mehr vor Ort sein, um außereuropäische Gesellschaften zu studieren. Die Delikte mit Gewalt gegen Frauen, die die anonymen Statistiken speisen, aus denen Roig so gern zitiert, sind in den vergangenen Jahren jedenfalls stark angestiegen. Das Phänomen der Gruppenvergewaltigung ist gar ein neues. Das ist jedoch nicht Roigs Thema, ihr geht es um das Strukturelle, um den archetypischen Täter, um den Mann an sich.
Sein Herrschaftssystem hätten Frauen auch heute noch so verinnerlicht, dass sie ihre Unterdrückung kaum bemerken würden, vor allem nicht in ihren privaten Ehen. „Das Patriarchat ist so schwer zu besiegen, weil von den unterdrückten Frauen erwartet wird, dass sie ihre Unterdrücker lieben und mit ihnen intime Beziehungen führen“, schreibt die geschiedene Wahl-Berlinerin, und an andere Stelle: „Viele Sexarbeiterinnen halten sich für freier als viele verheiratete Hausfrauen“ – ein Frauenbild in einem Satz; ein ganzes Buch hätte es dafür nicht gebraucht. Doch darüber, dass „wir alle Teil des patriarchalen Systems“ seien, lässt sich nun einmal seitenlang schimpfen.
Der Welt-Journalist hat inzwischen den Bogen raus, was Frau Roig triggert, und fragt: „Ist das Patriarchat nicht längst untergegangen und unterschätzen Sie da nicht den individuellen Willen?“ Anstelle der Wissenschaftlerin antwortet nun die Aktivistin: Das Patriarchat sei noch sehr lebendig. „Da muss man nicht argumentieren,“ findet Roig. Das wäre ein guter Satz für den Klappentext gewesen. Trotz guter Schreibe ermüdet die von Seite zu Seite wiederholte Behauptung von der strukturellen Unterdrückung der Frau durch den Mann den Leser irgendwann so sehr, dass er sich beim leise Mitbeten ertappt. Permanente Wiederholungen und Verallgemeinerungen, stilistisch geschickt in zitierte Statistiken gekleidet („Viele Befragte gaben zu, sich nie so einsam gefühlt zu haben wie während der Ehe.“) ersetzen argumentative Tiefenschärfe.
„Feminismus verbindet das Politische mit dem Persönlichen“
Roigs Systemkritik streift dennoch immer wieder wunde Punkte: „Mädchen wird früh vermittelt, dass ihr Körper ihnen Zugang zu materiellen Sachen geben kann.“ Sie hat die Kraft des Normativen als Mädchen, Ehefrau und Mutter selbst erlebt und berichtet so überzeugend aus ihrem (Gefühls-) Leben – und dem vieler anderer Frauen, dass sie auch beim männlichen Leser Verständnis für ihre Weltsicht wecken kann. Und sie wartet teils mit klarer sozialpsychologischer Analyse auf, etwa wenn sie auf die Frage nach dem individuellen Willen eingeht:
„Wenn uns Geld gegeben wird für eine Entscheidung, ist unser individueller Wille sehr geschwächt. Man muss schon finanziell sehr gut aufgestellt und privilegiert sein, um dem individuellen Willen folgen zu können.“ Als Beleg nannte sie ein Paar, das Teilzeit arbeiten möchte, aber mit hohen Steuern bestraft wird. Ein treffendes Beispiel für die Lenkung durch ökonomischen Druck wären auch Mütter gewesen, die ihr Kleinkind eigentlich selbst betreuen wollen, dafür aber kein Geld bekommen und notgedrungen auf den Krippenplatz zurückgreifen, der vom Staat mit über 1.000 Euro im Monat finanziert wird. Doch Mütter, die freiwillig Hausfrauen sein wollen, liegen für die Mutter eines Sohnes weit außerhalb des Vorstellbaren.
Roig beschreibt ihr Forschungsfeld, die sozialen Schieflagen und Missstände einwandfrei. Allein deren Interpretation will nicht gelingen, sondern erstickt in feministischer Wut. Die Identifikation des ursächlichen Übels beschränkt sich plump und pauschal auf das Patriarchat des heterosexuellen, alten, weißen Mannes und versandet erwartbar in kommunistischen Utopien moderner Ersatzfamilien von WG über Wahlfamilien bis zu „Communitys“:
Menschen, die eine Vision und gemeinsame Werte teilen, sich zusammentun und nicht nur aufgrund von Blutsverwandschaft verbunden sind, können sich bewusst, aus freien Stücken und mit größerem Impact dafür entscheiden, patriarchalen Mustern entgegenzuwirken.
Zufriedenstellende Antworten auf die Fragen, was wirklich Zwietracht sät zwischen den Geschlechtern, was Familien und Ehen scheitern lässt, oder worin die systemische Wut des Feminismus begründet liegt, kann Roig nicht liefern. Dafür fehlt der persönlich Betroffenen der nötige Abstand. Somit reiht sich ihr Buch ein in die zahlreichen Beispiele feministischer Traktate, dessen ehrlichste Aussage gleich am Anfang steht und die das feministische Motto der 70er-Jahre wieder aufwärmt: Das Private ist politisch – „Der Feminismus behandelt den Stoff des Lebens, er schält Schicht für Schicht unsere Identitäten, unsere Affekte, unsere Beziehungen. Er verbindet das Politische mit dem Persönlichen.“
Von mehreren Prinzen geküsst
Und das nimmt sich Roig zu Herzen: Sie trägt ihr persönliches Scheitern so massiv wie möglich in die Gesellschaft. Und wenn sie schreibt, sie will anderen Frauen die Ehe nicht madig machen, muss der Leser schmunzeln: Genau das will sie! Leider reißt Roig ihre eigene wechselhafte Beziehungsbiographie nur an. Doch wenn sich jemand so leidenschaftlich über die märchenhafte Vorstellung von jungen Mädchen echauffiert, die auf ihren Traumprinzen warten, dann ist das Politische wirklich nur noch Ventil fürs Private. Aus Roigs Sicht ist das vorgefertigte romantische Skript das Problem, das Frauen beibringe, sich über ihren Beziehungsstatus oder ihre Mutterrolle zu definieren, aber im Grunde nur Einengung, Selbstaufgabe und Enttäuschung bereithalte – die Sehnsucht nach der großen Liebe sei eine kitschige Erfindung aus dem 19. Jahrhundert.
Verlassen wir kurz Roigs Privatsphäre und fragen allgemein: Woraus resultieren Wut und Enttäuschung der jung entjungferten, von mehreren Prinzen geküssten („Ich bezeichne Penetration als sozialen Zwang“, schreibt Roig.) und in ihren späten Ehen gescheiterten Frauen wirklich? Welches Selbstbild, welches Frauen- und Männerbild entwickeln Menschen, die ab dem Teenageralter durch mehrere sexuell intime Beziehungen gegangen sind? Vielleicht sind nicht kulturelle Normen und ihre romantischen Skripte das Problem, sondern eher feministische Ideen wie die „sexuelle Befreiung“ oder „freie Liebe“, die diesen Skripten zuwiderlaufen. Sie brachten weder Freiheit noch Liebe, sondern den Tod der Romantik.
Der tief in die Seele geschriebene Erfahrungsballast der sexuellen Intimität mit Vorgängern passt weder zum Exklusivitätsanspruch der großen Liebe noch zum romantischen Ideal der Unberührtheit. Anders gesagt, aus jener Welt, in der „jemanden daten“ und „Sex haben“ Synoyme sind, gibt es keine Wiederkehr in die Welt der Märchenprinzen. Begreiflich ist daher die Missgunst der Gescheiterten, denn so ganz lassen sich die romantischen Sehnsüchte auch in den mehrfach gebrochenen, feministischen Herzen nicht ausmerzen. „Für eine Revolution der Liebe“, wählte Roig als Untertitel und sie schreibt: „Verbindung entsteht, wenn beide sie wollen und eine Begegnung auf Augenhöhe möglich ist.“ Das perfekte Match wäre also zwischen einem jungen, romantischen Mädchen und ihrem tugendhaften Traumprinzen, oder zwischen einer emanzipierten Feministin und …? – Dieses Märchen muss erst noch erfunden werden.