Der Landtagsvizepräsident von Schleswig-Holstein, Rasmus Andresen (Grüne), stellte kürzlich die Mitglieder des Aktionsbündnisses DemoFürAlle als „Menschenfeinde“ hin. Dieses Urteil diente ihm als Begründung für die Ablehnung eines CDU-Kandidaten für die Richterwahl zum Landesverfassungsgericht: Der Jurist Prof. Dr. Christian Winterhoff habe sich durch einen Vortrag auf dem Wiesbadener Kongress der DemoFürAlle zum „Sprachrohr von Menschenfeinden“ gemacht. Deshalb sei er im Kreis der Demokraten politisch nicht mehr tragbar. Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker
Das Pauschalurteil ‚menschenfeindlich’ ist die größtmögliche soziale Brandmarkung eines Menschen. Es kommt aus dem Kontext totalitärer Regime. Das nazistische Bannurteil ‚volksfeindlich’ ist damit verwandt – erweitert auf universale Dimension. Mit der Verfolgung politischer Gegner als „Volksfeinde“ hatten 1794 die Jakobiner begonnen. Stalin bezeichnete dissidente „Feinde des Volkes“ als „Abschaum der Menschheit“. Im totalitären Sinne hatte Voltaire den Begriff ‚Menschenfeindlichkeit’ eingeführt. Er bezichtigte die Juden des Hasses auf andere Völker sowie der Feindschaft gegenüber der gesamten Menschheit. Mit diesem mehrfach geäußerten Verdikt legte der einflussreiche Aufklärer zum Ende des 18. Jahrhundert die Basis für den modernen Antisemitismus.
Nach dem Ende der totalitären Systeme von links und rechts war die denunzierende Formel ‚Volks- und Menschenfeind’ einige Zeit tabu. Doch seit der Jahrtausendwende macht der Begriff in Deutschland erneut Karriere. 2002 initiierte der Bielefelder Soziologieprofessor Wilhelm Heitmeyer ein zehnjähriges Forschungsprogramm zu „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (GMF). Darunter verstand er verfestigte Einstellungen zu Abwertung von Personen wegen ihrer Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen. Als menschenfeindlich definierte er Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antiziganismus und Islamfeindlichkeit, Homophobie und Sexismus, Abwertung von Asylbewerbern, Obdachlosen, Langzeitarbeitslosen und Behinderten sowie Bestehen auf Etabliertenvorrechten.
Kritiker weisen auf schwerwiegende Mängel der Studie hin:
▪ Nach der vorgefassten These Heitmeyers, dass Menschenfeindlichkeit bis in die „Mitte der Gesellschaft“ reiche, wurden Fragevorgaben so (allgemein) gestellt, dass man das gewollte Ergebnis in die Antworten hineininterpretieren konnte. Eine Frage lautete zum Beispiel: „Haben Sie Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in Ihrer Gegend aufhalten?“ Mit der Bejahung von 40 Prozent hatte man das erwartete Ergebnis: Mehr als ein Drittel der Deutschen seien „antiziganistisch“ eingestellt. In einem zweiten Interpretationsschritt sah man das eigene Vor-Urteil bestätigt, dass ‚gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit’ einen beträchtlichen Teil „deutscher Zustände“ ausmache.
▪ Wie an diesem Komplex gezeigt, kann man bei Befragungsstudien an verschiedenen Stellen (ver-)drehen, um ein gewünschtes Ergebnis zu bekommen: die Richtung des Forschungsansatzes, die Art der Fragestellung, Interpretation der Aussagen und schließlich Verallgemeinerung der interpretierten Ergebnisse. Die Beispielaussage: ‚Probleme mit Sinti und Roma’ wurde pauschal als verfestigter Rassismus gedeutet, obwohl die Probleme und die Gründe dafür vielfältig sind. Die wurden aber nicht untersucht und berücksichtigt. Gleiches gilt für die Fragestellungen von ‚Unwohlgefühlen’ in der Nähe von Behinderten, Obdachlosen und Homosexuellen oder Fremdheitsgefühle bei Ausländern aus anderen Kulturkreisen. Doch die Macher der Studie schlugen alles über den Leisten der angeblich verfestigten Menschenfeindschaft. Seriöse Wissenschaft ist das nicht. Die arbeitet mit differenzierter Analyse und sachorientierten Verallgemeinerungen.
▪ Ein weiteres Beispiel für krasse Interpretationsfehler: Bei dem Vorhalt „Die Muslime in Deutschland sollten das Recht haben, nach ihren eigenen Glaubensgesetzen zu leben“ hatten sicherlich viele ‚Glaubensgesetze’ als ‚Scharia’ verstanden und mit Recht die Aussage abgelehnt. Die Studie dagegen interpretierte ein Ablehnungskreuz wiederum pauschal als „islamfeindlich“ oder „islamophob“. Welche Gewaltphantasien die islamischen Glaubensgesetze hervorbringen, hatte Heitmeyer selbst in einer Studie von 1997 eruiert. Danach wollte ein Viertel bis ein Drittel der befragten türkisch-muslimischen Jugendlichen mit Erniedrigung und Gewalt bis hin zum Töten gegen Ungläubige in Deutschland vorgehen, „wenn es der islamischen Gemeinschaft dient“. 56 Prozent hielt das Christentum für eine „falsche und nichtige“ Religion. Die befragten Deutschen hatten demnach gute Gründe, eine restriktive Behandlung des (fundamentalistischen) Islam zu fordern. Mit dem Kampfbegriff von ‚Islamophobie’ soll wohl die beunruhigende Wirklichkeit islamischer Überlegenheitsphantasien und Gewaltbereitschaft vertuscht werden. Diese Tendenz wird dadurch bestätigt, dass Ausländer und Muslime in der GMF-Studie grundsätzlich nicht nach ihren Vorurteilen befragt wurden. Sie sollten offenbar nur als Gutmenschen erscheinen sowie als Opfer deutscher ‚Islamophobie’. Wenn dagegen deutsche Frauen Opfer von muslimischen nordafrikanischen Männern wurden, wie bei den Massenübergriffen in der Silvesternacht in Köln und anderswo, dann habe das nichts mit der Herkunftskultur der Täter zu tun, ließ der Nachfolger Heitmeyers, Andreas Zick, verlauten.
▪ In ähnlich tendenziöser Richtung wird der Begriff ‚Homophobie’ gebraucht. Ein Drittel der Befragten äußerte 2006 Unbehagen, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen. Gegen die Einführung der Ehe zwischen schwulen Männern bzw. lesbischen Frauen sprach sich ebenfalls 34 Prozent aus. Für beiden Antwortgruppen diagnostizierte Heitmeyer ‚menschenfeindliche Homophobie’. Der medizinische Begriff ‚Phobie’ meint eine krankhafte Angststörung. Mit der Anwendung des Psychosebegriffs auf Gefühlsunsicherheiten gegenüber öffentlicher Demonstration schwuler oder lesbischer Sexualität wurden die betreffenden Antwortgeber pathologisiert.
Bei der Bundestagsabstimmung 2017 über die ‚Ehe für alle’ stimmte 36 Prozent der Abgeordneten und Minister einschließlich von Bundeskanzlerin Merkel mit ‚Nein’. Nach Heitmeyers Logik müssten diese Parlamentarier als menschenfeindlich-homophob abgekanzelt werden. Der Homophobie-Vorwurf enthält in diesem Fall die Stigmatisierung von Andersdenkenden, die aus naturrechtlichen, religiösen, ethischen oder verfassungsrechtlichen Bedenken für den Vorbehalt der Ehe zwischen Mann und Frau gestimmt haben. Diese Menschen mit ihren rationalen Gründen als ‚Menschenfeinde’ hinzustellen, zeigt die Absurdität des GMF-Ideologie: Sie praktiziert jene Abwertung und Ausgrenzung durch ideologische Pauschalisierung, die den Befragten vorgeworfen wird.
▪ Konzept und Kategorie der ‚Menschenfeindlichkeit’ enthalten völlig überzogene Verallgemeinerungsurteile. Sie sind nicht geeignet, um die erfragten Erfahrungen, Einstellungen und Ansichten differenziert darzustellen. Menschen mit Gefühlen von Distanz, Fremdheit, Unsicherheit, Zukunftsängsten, Werteveränderungen etc. als ‚Menschenfeinde’ hinzustellen, ist jedenfalls wissenschaftlich nicht seriös. Darüber hinaus hat die Qualifizierung „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ das totalitäre Potential, Andersdenkende als Feinde der Menschheit aus der menschlichen (Diskurs-) Gemeinschaft der politisch Vernünftigen und sozial Anständigen auszuschließen. Der Terminus ist ein ideologisches Konstrukt, das die Drohkulisse von einer rechtsgerückten Gesellschaft aufbauscht, um die linke Basis zu mobilisieren.
▪ Eine linksideologische Richtung zeigt sich auch in Heitmeyers Theorie vom ‚Extremismus der Mitte’, die sein GMF-Konzept untermauern soll. Darin kommen nur rechtsorientierte Extremisten vor. Die linksliberalen Unterstützer und Sympathisanten von Linksextremismus werden ebenso ausgeblendet wie die breite muslimische Basis für islamisch-salafistische Gewalttäter. Weiterhin zeigt sich die Linkslastigkeit der GMF-Studie darin, dass die Vorurteile der Linken gegen Konservative, Andersdenkende, Hausfrauen, kindererziehende Mütter, glaubenstreue Katholiken etc. nicht thematisiert wurden.
Ablenken von den wirklichen Exzessen kommunistischer Menschenfeindlichkeit
Heitmeyer hat sein Bielefelder ‚Institut für Konflikt- und Gewaltforschung’ zu einer Kaderschmiede für Multiplikatoren im ‚Kampf gegen Rechts’ aufgebaut. Obwohl die wissenschaftliche Basis der GMF-Studie nicht tragfähig ist, beteiligen sich weitere Hochschulen und Sozialforscher an dem Programm. Es ist eben politisch gewollt, man fühlt sich beauftragt von der linksliberalen Klasse und wird finanziert von Wissenschaftsgesellschaften. Nach der Flüchtlingskrise 2015 und seit die ‚AfD’ die Belogenen, Bevormundeten und Benachteiligten gesammelt hat, wurde die Heitmeyer-Studie verstärkt von linken Parteien, Institutionen und Lobbygruppen zum ‚Kampf gegen den Rechtspopulismus’ aufgebaut. Das sozialdemokratisch geführte Ministerium für Familie und Jugend legte 2014 das Programm „Demokratie leben! Gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ auf, dem sich zahlreiche kommunale Träger angeschlossen haben. Seit 2017 soll die Zeitschrift „Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit“ die beteiligten Organisationen auf Kurs halten. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung gibt Aufträge für Nachfolgestudien. Man scheut sich nicht, die vom türkischen Staat gelenkte muslimische Ditib-Organisation mit Argumenten zur angeblichen „Islamfeindlichkeit“ der deutschen Gesellschaft zu unterstützen.
Alle genannten Tendenzen bestärken den Verdacht, dass die Linken mit der inflationären Anwendung von ‚Menschenfeindlichkeit’ auf konservative und gemäßigt rechte Positionen von den wirklichen Exzessen linksextremistischer Menschenfeindlichkeit in der Geschichte ablenken wollen: angefangen bei der Terrorherrschaft der Jakobiner in der Französischen Revolution, über die Massenmorde Lenins und Stalins durch Säuberungen und Gulags, von dem menschenvernichtenden Kommunismus Mao Zedongs bis hin zu den Massakern der Steinzeitkommunisten in Kambodscha. Etwa 100 Millionen Menschenopfer hat die Menschenfeindlichkeit der Marxisten bis heute auf dem Gewissen. Auf den weltweiten Vernichtungsbürgerkrieg der roten, braunen und islamischen Extremisten sollte die Anklage ‚Menschenfeindlichkeit’ konzentriert werden, nicht auf politische Gegner im demokratischen Diskurs.