Spahns Ministerium versucht Sex-Plakate der BZgA zu verteidigen – Eine Analyse

Vier Wochen nachdem wir unsere Protest-Aktion gegen die vulgäre Cartoon-Kampagne „Liebesleben“ der BZgA gestartet haben und mehr als 18.500 Protest-Mails und zahlreiche Beschwerde-Briefe sowie Anrufe bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eingegangen sind, hat sich das Gesundheitsministerium jetzt zu einer Antwort entschlossen – einer Antwort, die nicht überzeugen kann. 

In einem auf den ersten Blick sehr detaillierten Schreiben nimmt Simone Bürger stellvertretend für Gesundheitsminister Jens Spahn Stellung zu verschiedenen äußerst kritischen Punkten der Kampagne. Leider entpuppt sich die sechsseitige Antwort rasch als plumpe Wiederholung der immer selben Phrasen und Floskeln auf die sehr differenzierten und berechtigten Fragen.

Auf mehr als die Hälfte der Fragen antwortet Bürger mit dem Verweis auf sogenannte Pretestungen und Konzepttests der Cartoon-Kampagne, die ergeben hätten, daß diese „eine hohe Akzeptanz bei der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung haben und dass der Grad der sexuellen Anspielung von der großen Mehrheit der Befragten als „genau richtig“ empfunden“ würde. Einen Link auf die Ergebnisse der Tests bleibt sie indes ebenso schuldig wie auf deren wissenschaftliche Vailidität, Datenbasis und Erhebungsmethodik.

Daß die Infektionsraten gefährlicher Geschlechtskrankheiten trotz der intensiven Kampagnenarbeit der BZgA in Deutschland nicht zurück gehen, sondern im Gegenteil weiter steigen, scheint Bürger nicht weiter tragisch zu finden – zumindest geht sie auf diesen alarmierenden Befund überhaupt nicht ein. Statt dessen verweist sie auf die niedrigen Neuinfektionsraten Deutschlands im internationalen Vergleich und lobt die angeblich erfolgreiche Präventionsarbeit der BZgA beim Thema HIV/AIDS. Diesen Erfolg wolle man nun auch bei STI (sexuell übertragbare Krankheiten) fortsetzen. Ein wesentliches Ziel der Kampagne „Liebesleben“ sei es deshalb, die „Bevölkerung zu dem Thema sprachfähig zu machen und über STI den Kommunikationshebel Humor zu enttabuisieren“.

An dieser Stelle wird noch einmal besonders deutlich, warum die Kampagne nicht nur wirkungslos ist, sondern u.U. das Gegenteil bewirkt. Statt Neuinfektionen effektiv zu verhindern, indem für ein verantwortungsvolles die Sexualität betreffendes Verhalten geworben würde, welches die Würde von Mann und Frau achtet und andere nicht als bloße Lustobjekte und daher „Gebrauchs“gegenstände betrachtet, ruft die BZgA mit ihren Plakaten zu Zügellosigkeit auf. Die Botschaft ist nicht: Sei verantwortungsbewußt und schütz Dich, sie lautet vielmehr: Mach‘s, wann und wo und mit wem du willst, aber dann geh bitte zum Arzt. Was für eine heuchlerische und hochgefährliche Propaganda!

Die Fragen nach einem möglichen Werteverfall und dem Verlust der Scham in der Öffentlichkeit durch die schamverletzenden Sprüche und Darstellungen auf den BZgA-Plakaten wischt Bürger mit der Behauptung angeblicher „Lebenswirklichkeiten der Menschen“ beiseite, hierzu „gehören z. B. wechselnde Partnerschaften.“ Prävention müsse „glaubwürdig und lebensnah sein“. Die Vermittlung von moralischen Werten wie Treue oder Abstinenz vor der Ehe sei keine geeignete Strategie, da sie „für eine Vielzahl von Menschen keine realistischen Optionen sind.“

Wie weit diese Einschätzung der Mitarbeiterin des Bundesgesundheitsministeriums von der Realität entfernt ist, zeigen die Ergebnisse der jüngsten BZgA-Studie zum Sexualverhalten 14-25jähriger. Demnach hat die „sexuelle Treue innerhalb der Partnerschaft“ bei den Jugendlichen „einen hohen Stellenwert. Kaum eine oder einer hält die Forderung nach sexueller Treue für falsch (3 bzw. 4%), und junge Frauen deklarieren sexuelle Treue zu einem großen Teil als unbedingte Notwendigkeit.“

Auch der Hinweis auf die Erfahrungswerte anderer Länder, die in der Prävention auf sexuelle Abstinenz, Treue und ehegebundenen Sex setzten und deren Infektionszahlen und Teenagerschwangerschaften wie z.B. in den USA deshalb angeblich ansteigen würden, kann nicht überzeugen. Denn die als Beleg angebene US-amerikanische Studie von 2007 gibt dies gar nicht her. Sie kommt lediglich zu dem Ergebnis, daß Programme, die ausschließlich die Abstinenz fördern, „das Risiko einer HIV-Infektion nicht zu beeinträchtigen scheinen“.

Teenagerschwangerschaften sind in allen Industrienationen rückläufig, so auch in den USA, gleichwohl die Zahlen im Vergleich zu Deutschland immer noch sehr hoch sind. Bill Albert, der Chef der Nationalen Kampagne zur Prävention von Jugendschwangerschaften, führt den Rückgang in den USA interessanterweise auf ein verantwortungsbewußtes Sexualverhalten zurück. So sagte er im Interview mit der „Washington Post“: „In den vergangenen 20 Jahren haben wir einen Wandel sozialer Normen beobachtet. Die Idee, auf Sex zu verzichten oder erst später Geschlechtsverkehr zu haben, wird akzeptiert“. Eine überaus interessante Feststellung, der sich das Gesundheitsministerium und die BZgA noch einmal intensiver widmen sollten.

Ende der 90er Jahre hatte England eine der höchsten Teenagerschwangerschafts-Raten in ganz Europa nach drei Jahrzehnten intensivster verhütungsmittel-orientierter Sexualerziehung. Nachdem wegen der Finanzkrise die Mittel für diese Maßnahmen drastisch gekürzt werden mußten, sank die Zahl der Teenagerschwangerschaften und zwar an den Orten am deutlichsten, wo die Haushaltsmittel am stärksten gekürzt wurden (vgl. Studie von David Paton von der Nottingham University Business School, und Liam Wright von der University of Sheffield).

Schließlich versucht Frau Bürger in ihrem Antwortschreiben noch auf die Frage einzugehen, welche Wirkung die Plakate auf Kinder und Jugendliche hat. Kinder würden überall „mit der Darstellung von Sexualität konfrontiert“, ihre Wahrnehmung sei aber gänzlich verschieden von der der Erwachsenen: „Richtig ist, dass Kinder all diese Bilder wahrnehmen. Allerdings verstehen sie die sexuelle Bedeutung häufig noch nicht und stellen Fragen wie: „Was machen die denn da?“ Die Fragen der Kinder geben einen guten Anlass für Eltern, um mit ihnen über Sexualität zu sprechen.“ Die passende Aufklärungsbroschüre hat Simone Bürger dafür selbstverständlich auch gleich parat, sie ist natürlich von der BZgA.

Soviel Frechheit macht fassungslos! Die Bushaltestelle dürfte für Eltern wohl kaum der Ort der Wahl sein, wo sie ihr Kind in angemessener und einfühlsamer Weise aufklären möchten. Es ist ein vielbeklagtes Übel, daß Kinder heute einer medial übersexualisierten Umwelt ausgeliefert sind. Darstellungen von Sexualität seitens Dritter aber jetzt als Rechtfertigung einer staatlichen Behörde vorzubringen, sich ebenso rücksichtlos gegenüber dem Schamgefühl von Kindern zu verhalten und sich noch über die Eltern lustig zu machen, ist einfach unglaublich.

Jugendliche wissen heute genau, daß Bilder mit sexuellen Anspielungen gezielt in der Werbung eingesetzt werden als Hingucker zwecks Verkaufsförderung – und ordnen dies entsprechend ein. Etwas vollkommen anderes ist es aber, wenn eine staatliche Behörde dasselbe tut, und noch dazu ausdrücklich in erzieherischer Absicht. Neben der schriftlichen Handlungsaufforderung „Geh zum Arzt“ wirkt das „witzige“ Bild auf den Betrachter als Bestätigung des dargestellten sexuellen Verhaltens, dieses sei normal, selbstverständlich und völlig ok. Der Staat, dessen Bildungsautorität Kinder und Jugendliche in der Schulpflicht erfahren, segnet mit dieser Comic-Kampagne promiskuitives Verhalten ab und fördert es damit.

Der Staat hat gegenüber Kindern und Jugendlichen eine Schutzpflicht!