Warum Familien in Deutschland finanziell benachteiligt werden

Kaum ein Land verlangt so hohe Steuern und Sozialabgaben wie Deutschland. Besonders Familien haben darunter zu leiden. Die Corona-Krise verschärft diese Situation. Eine familiengerechte Sozialreform ist dringender denn je.

In der kürzlich veröffentlichten Studie der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) über Steuern und Sozialabgaben ist Deutschland trauriger Spitzenreiter: Kein anderer der 36 Mitgliedsstaaten fordert von seinen Bürgern so hohe Abgaben wie Deutschland.

Hoher Steuerkeil für Familien

Besonders interessant ist dabei ein Blick auf den sogenannten Steuerkeil. Dieser misst die Differenz zwischen Arbeitskosten des Arbeitgebers und Nettoverdienst des Arbeitnehmers, d.h. Steuern und Sozialabgaben sind abgezogen, staatliche Transferleistungen sind hinzugefügt:

Für eine vierköpfige Familie mit einem Durchschnittsverdiener und einem Nichtverdiener liegt der Steuerkeil bei 34,3 Prozent, bei zwei Durchschnittsverdienern 44,8 Prozent und bei einem Durchschnittsverdiener und einem Geringverdiener 42,5 Prozent.

Bessere Situation für Familien in anderen Ländern

Letzteres Modell betrifft laut dem Familienreport 2017 des Bundesfamilienministeriums die Mehrheit der Familien in Deutschland. Wie stark diese belastet werden, fällt besonders im Vergleich mit anderen OECD-Mitgliedsstaaten: „Die gleichen Steuerkeile in Polen liegen bei 25,1 und 35,3. Die Kinder ‚lohnen‘ sich also steuerlich in Polen doppelt so stark wie in Deutschland. In Neuseeland zum Beispiel ist der Unterschied zwar noch geringer als hierzulande, allerdings zahlen sowohl kinderlose als auch Doppelverdiener mit zwei Kindern dort weit unter 20 Prozent (16,8 und 17,3)“, erklärt der Journalist Ferdinand Knauß.

Diese hohe finanzielle Belastung der Familien zeigt sich vor allem im stetigen Rückgang von Familiengründungen und im deutlich höheren Armutsrisiko kinderreicher Familien. Besonders in der Corona-Krise haben Familien überdurchschnittlich häufig finanzielle Schwierigkeiten: Fast jeder dritte Haushalt mit drei Personen hat aktuell weniger Geld als vor der Krise zur Verfügung.

Bundesregierung ignoriert Vollzeit-Mütter

Anstatt die Abgaben für Familien zu senken, verspricht die Bundesregierung jedoch nur, das Elterngeld nicht aufgrund von Kurzarbeit zu verringern. Allerdings wird hier ein „Konstruktionsfehler des Elterngeldes“ offenbar, der laut der Autorin Jenniffer Ehry-Gissel darin besteht, „dass die Betreuung eines Säuglings wie eine Krankheit behandelt wird, für die ‚Lohnersatz‘ zu zahlen ist. Tatsächlich ist aber die Erziehung von Kindern eine Leistung, die heute allen zugutekommt, weil ohne Kinder unser gesamtes Sozialsystem zusammenbrechen muss und auf lange Sicht auch unsere Wirtschaft. Eltern brauchen keinen ‚Lohnersatz‘, sondern einen ‚Lohn‘ für ihre Arbeit.“

Diese Position teilt auch das Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie: „Gerade in Krisenzeiten wie jetzt könnte die finanzielle Anerkennung der Erziehungsleistung dazu beitragen, Familien zu stabilisieren und Familiengründungen zu erleichtern. Für die umlagefinanzierten Sozialsysteme wäre das im wahrsten Sinn des Wortes systemrelevant und bestandserhaltend, wie das Bundesverfassungsgericht argumentiert.“

Familiengerechte Sozialreform ist notwendig

Das Bündnis „Familie geht vor!“ fordert daher in seiner aktuellen Netz-Demo: „Die von Eltern oder Angehörigen geleistete häusliche Pflege und Erziehung von Kindern und pflegebedürftigen Familienmitgliedern ist als gleichwertig zur Erwerbsarbeit anzuerkennen.“

Eine familiengerechte Sozialreform, die auf dieser Anerkennung beruht, würde die Erziehungs- und Bildungsarbeit in den Familien honorieren, finanzielle Anreize für Familiengründungen setzen und das damit derzeit noch verbundene Armutsrisiko deutlich senken, gerade in Krisenzeiten.