„Gender-Studies“: Staatsfeminismus statt Wissenschaft?

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Wissenschaftler aller Fachrichtungen haben guten Grund, sich mit dem Thema Gender Studies auseinanderzusetzen, denn diese haben sich inzwischen einerseits als selbständiges Fach etabliert, andererseits durchdringen sie praktisch alle anderen akademischen Fächer – abgesehen vielleicht von Chemie, Physik, Astronomie und den Ingenieurswissenschaften. Durch die thematische Ausweitung auf die Bereiche Sexualität, Inklusion und Migration sind Gender Studies außerdem Träger bzw. fester Bestandteil von Diversitätsforschung, Queer Studies, Post bzw. Decolonial Studies und Disability Studies. Ein Beitrag von Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig.

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Der Status der Gender Studies ist ungeklärt; sie sind sowohl ein Fach mit eigenem Studiengang und entsprechendem Abschluss, werden von ihren Vertretern aber auch definiert als Fächerverbund (Stefan Hirschauer), als Forschungsgebiet oder als eine Methodik bzw. „akademisches Konzept“ (S. Hark). Wissenschaftsgeschichtlich gesehen bezeichnete der Begriff Gender Studies zunächst ein Forschungsfeld, auf dem die Kategorie „Geschlecht“ behandelt wurde. Aus der Beschäftigung mit dieser Kategorie entstand das universitäre Fach Gender Studies, das zumeist an sozialwissenschaftlichen Fakultäten beheimatet ist.

Mittlerweile werden jedoch Forschungseinrichtungen auch an anderen Fakultäten mit dem Namen Gender Studies bezeichnet. Die ersten Studiengänge und Zentren für Gender Studies entstanden in Deutschland ab 1997 aus Lehrstühlen für Frauenforschung, in Österreich erst 2006. An deutschsprachigen Hochschulen gibt es zur Zeit etwas mehr als 200 Professuren mit einer spezifischen Ausrichtung auf Gender, die auch die Begrifflichkeit explizit in ihrer Denomination führen, sogenannte Gender-Professuren. Hinzu kommt ein Netzwerk von Forschungszentren, Forschungsverbünden, Instituten und Projekten. Die Zahl derjenigen, die sich allein im deutschsprachigen Raum als Gender-Forscher verstehen, geht in die Tausende.

Wenn wir im Titel fragen „Gender Studies – Wissenschaft oder Ideologie?“, dann ist Wissenschaft hier verstanden im Sinne von Forschungsmethodik, die vor allem anderen dem Prinzip einer Überprüfbarkeit der faktenbasierten Argumentation verpflichtet ist, um so ein begründetes und systematisch geordnetes Wissen zu generieren. Wissenschaft ist damit das Gegenteil von Ideologie im Sinne einer weltanschaulichen Idee zur Erreichung politischer und gesellschaftlicher Ziele.

Für die Gender Studies ist das Geschlecht der zentrale Forschungsgegenstand. Alle sozialen und gesellschaftlichen Phänomene werden auf „Geschlechterverhältnisse“ zurückgeführt. Die Gender Studies haben aber auch eine politische Bedeutung: Sie dienen der Legitimierung der Politik des Gender Mainstreamings, die in Deutschland auch als Gleichstellungspolitik bezeichnet wird. Die Gender Studies beeinflussen somit einen wichtigen Teil der deutschen Politik. Es ist unstrittig, dass es geschlechtsspezifische Fragestellungen in der Wissenschaft gibt, beispielsweise nach den historischen Rollen von Frauen und Männern oder auch nach geschlechtsspezifischer Medikation in der pharmazeutischen Forschung.

Der Feminismus gehört zu den erfolgreichsten und einflussreichsten sozialen Bewegungen der Moderne. Sein Ziel war ursprünglich, d.h. seit dem 19. Jahrhundert in der sogenannten Ersten Frauenbewegung, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Frauen forderten für sich die Rechte, die privilegierte Männer bereits besaßen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden diese Forderungen, vor allem Gleichheit vor dem Gesetz und Schaffung von gleichen Startchancen, in den Industrienationen weitgehend erfüllt. Gleiche Rechte für Männer und Frauen wurden in der Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz festgeschrieben.

Der Feminismus beschränkte sich jedoch seit den 60er Jahren nicht nur auf die Durchsetzung von politischen Forderungen, sondern schuf einen Forschungszweig, der sich auf die Belange von Frauen konzentrierte, darüber hinaus eine fundamentale Kritik an der bestehenden, „patriarchalen“ Gesellschaft lieferte und eine grundlegende, den Bedürfnissen und Interessen von Frauen entsprechende Veränderung der Gesellschaft forderte.

Feministische Wissenschaft erlebte einen Aufschwung durch das Aufkommen der Zweiten Frauenbewegung, die wiederum durch die Studentenbewegung von 1968 maßgeblich geprägt wurde. Das Ziel der Zweiten Frauenbewegung war nicht nur die Beseitigung der Benachteiligungen von Frauen und größere Partizipation von Frauen am gesellschaftlich-politischen Leben, sondern auch die Etablierung einer spezifisch weiblichen Sicht auf die Realität und die Gesellschaft. Als theoretisches Fundament der von der Zweiten Frauenbewegung inspirierten Frauenforschung kann der Differenzfeminismus betrachtet werden:

Dieser geht davon aus, dass es einen grundlegenden Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt, sei es biologischer, anthropologischer oder sozialisatorischer Art. Frauen seien daher in vielerlei Hinsicht anders als Männer; sie hätten andere Bedürfnisse, Interessen und Präferenzen, andere moralische und ethische Auffassungen sowie Handlungsmaximen und sie folgten anderen Lebensentwürfen als Männer. Besteht eine grundlegende Differenz zwischen Frauen und Männer, dann – so die Schlussfolgerung – besteht auch die Berechtigung, „die Frauen“ eigens zu erforschen. Daraus kann wiederum der politische Anspruch erhoben werden, Gesellschaft und Politik nach Bedürfnissen, Interessen usw. von Frauen umzugestalten.

Von Anfang an bestand dabei eine enge Verknüpfung von Frauenbewegung und Frauenforschung, von Politik und Wissenschaft. Die Frauenforschung kann daher als ein „verlängerter Arm der politischen Frauenbewegung“ betrachtet werden, wie auch führende Vertreterinnen der Gender Studies betonen. Das hat Folgen für das Wissenschaftsverständnis der Frauenforschung. Die Ideale der Wissenschaft wie Neutralität, Unparteilichkeit, Ergebnisoffenheit und Objektivität wurden abgelehnt und oft als spezifisch männlich sowie als Ausdruck patriarchaler Diskurse betrachtet. Frauenforschung soll hingegen parteilich sein, d.h. Partei für Frauen ergreifen.

Die feministische Wissenschaft soll von vornherein politischen Zielen dienen; sie soll auf der einen Seite die „männliche“, patriarchale Wissenschaft dekonstruieren, auf der anderen Seite die Situation von Frauen in der Wissenschaft und in der Gesellschaft verbessern. Dies drückt sich auch darin aus, dass in den 80er Jahren Feministinnen wie die amerikanische Autorin Lucy R. Lippard das Mittel der Propaganda als legitime Möglichkeit der Unterstützung feministischer Ziele bezeichnen und damit einen seit der Aneignung durch Nationalsozialismus und Stalinismus weitgehend diskreditierten Begriff wieder aufwerten.

Es lassen sich folgende methodologische Postulate der Frauenforschung feststellen, die hier nach der von führenden Vertretern der deutschen Gender Studies verfassten Einführung in die soziologische Geschlechterforschung zitiert werden:

„1. Basierend auf einer Identifikation mit den Erforschten solle eine ‚bewusste Parteilichkeit’ an die Stelle des Prinzips der Wertfreiheit treten.

2. Die Forschung solle der Befreiung unterdrückter Gruppen dienen. Die Bedürfnisse und Interessen der Frauen sollten Forschungsziele und Forschungsgegenstände bestimmen.

3. Frauenforschung solle sich an emanzipatorischen Aktionen beteiligen.

4. Die ‚Veränderung des Status Quo’ sei zum ‚Ausgangspunkt wissenschaftlicher Erkenntnis’ zu machen (…).

5. Die Auswahl der Forschungsgegenstände sei nicht an den Interessen der Wissenschaftlerinnen zu orientieren, sondern müsse ‚von den allgemeinen Zielen und den strategischen und taktischen Erfordernissen’ der Frauenbewegung abhängig gemacht werden (…).

6. Forschung solle zu einem Bewusstwerdungsprozess sowohl für die Forscherin als auch für die Erforschten werden, welche selbst ‚zu forschenden Subjekten in einer befreienden Aktion’ würden (…).

7. Eine feministische Gesellschaftstheorie könne nur in der Teilnahme an den Kämpfen der Frauenbewegung entstehen.“

Diese vorgängige und durchgängige Verquickung von Wissenschaft und Politik widerspricht den geltenden Wissenschaftsnormen. Sie machte und macht bis heute die Frauenforschung für ideologische Inhalte anfällig. Seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, zeitgleich mit dem Aufkommen der Dritten Frauenbewegung, die mit der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking (1995) einsetzte und aufs engste mit dem politischen Projekt des Gender Mainstreamings verbunden ist, gewinnt eine andere feministische Konzeption immer mehr an Bedeutung: der Genderfeminismus.

Er bezeichnet im Gegensatz zum biologischen Geschlecht (Sex) das soziale Geschlecht. Gender wird zur wichtigsten sozialen Kategorie – und zwar sowohl in der Forschung als auch in der Politik und in der Gesellschaft. Die Kategorie Gender liegt nach diesem Konzept „unterhalb“ aller anderen sozialen Kategorien; sie ist also grundlegender als andere soziale Kategorien wie soziale Schicht, soziale Klasse, Rasse, Ethnie, Alter, Nation oder Religion. Die mit diesem Feminismus verbundene Forschungspraxis bzw. das mit ihm verbundene Forschungsfeld wird als Gender Studies bezeichnet. Gender Studies heißt auch die universitäre Disziplin, die sich mit dem sozialen Geschlecht beschäftigt. Die Aufgabe der Gender Studies ist es, die Kategorie Gender in historischer und systematischer Hinsicht zu analysieren.

Gender wird von den Vertretern der Gender Studies als eine soziale Konstruktion bestimmt. Das bedeutet, dass das soziale Geschlecht nicht vorgegeben und keine anthropologische Konstante bildet, sondern von den sozialen Akteuren immer wieder erzeugt und gestaltet wird. Der Prozess der aktiven Herstellung und Gestaltung von Geschlecht wird als „doing gender“ bezeichnet. Judith Butler, die wohl bekannteste und meistzitierte Theoretikerin der Gender Studies, behauptet sogar, dass die gesamte Wirklichkeit, also auch das biologische Geschlecht, gedeutet und somit konstruiert wird.

Die Realität werde durch Sprache, genauer: durch Deutung im Rahmen von „Diskursen“, durch „diskursive Praktiken“, hergestellt. Da das Geschlecht soziale Konstruktion sei und von Akteuren immer wieder erzeugt, verändert und frei gewählt werden könne, könne es eine Vielzahl von Geschlechtern geben. Daher lehnen Gender-Forscher das von der Biologie vertretene Konzept der Zweigeschlechtlichkeit ab. In ihren Augen ist die Zweigeschlechtlichkeit eine mit dem patriarchalischen System verbundene historische, sprachlich-diskursiv und kulturell vermittelte Konstruktion.

Die Vertreter der Auffassung einer grundsätzlichen Zweigeschlechtlichkeit des Homo Sapiens werden von ihnen als Anti-Genderisten bezeichnet, die ein naiv-positivistisches Wissenschaftsverständnis verträten, und reflexartig in die Nähe des Rechtspopulismus gerückt. Ähnlich wie der Differenzfeminismus lehnt der Genderfeminismus die wissenschaftlichen Ideale der Unparteilichkeit, weltanschaulichen Neutralität, Ergebnisoffenheit und Objektivität ab. Die Erkenntnis der Welt sei sozial situiert, verortet, kontextabhängig, durch Diskurse vermittelt, von Interessen und Macht geleitet. Auch der Genderfeminismus stellt Wissenschaft in einen politischen Kontext.

Wissenschaft dient demnach von vornherein und durchgehend politischen Interessen. Parteilichkeit gilt als ein Prinzip der wissenschaftlichen Arbeit. Zweck der Wissenschaft ist die Parteinahme für Beherrschte und Marginalisierte, d.h. zunächst vorwiegend für Frauen. So heißt es unverblümt im 2016 vorgelegten Abschlussbericht des mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung geförderten Vorhabens „Genderforschung und die neue Governance der Wissenschaft“: „Demnach ist die Genderforschung also in gewisser Weise ein Teil des Staatsfeminismus (…)“.

Aus: Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig (Herausgeber), Gender Studies – Wissenschaft oder Ideologie?, Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden, 2019, hier: Seiten 26

Dieser Beitrag erschien zuerst bei www.i-daf.org.