Wie Wokeness dem Trans-Kult den Boden bereitet hat

Wie kommt es, dass man bloß die Zauberformel „ich bin trans“ aussprechen muss, und sofort achtet alle Welt peinlich genau darauf, einen nur noch mit Samthandschuhen anzufassen und bloß nichts zu sagen, was auch nur im Entferntesten irgendwie verletzend sein könnte? Es ist eine Machtfrage, ist sich Pauline Voss sicher. Die Journalistin und Buchautorin spricht im Interview mit der Jungen Freiheit – „Bei der Wokeness geht es weniger um Inhalte als um Macht“ – über ihr Buch „Generation Krokodilstränen: Über die Machttechniken der Wokeness“. Und darüber, wie es den „Woken“ gelungen ist, das traditionelle Politikverständnis zu sprengen.

Wer in den Verdacht gerät, eine sogenannte Minderheit zu diskriminieren, katapultiert sich ins gesellschaftliche Aus. Jeder hat das inzwischen tief verinnerlicht. Daher konnten die Forderungen der angeblich diskriminierten Minderheiten zuletzt immer abstruser werden. Unter anderem der Trans-Kult dient Voss als Beispiel:

Plötzlich fordern einige Leute, sie mit „they/them“ anzusprechen – zu deutsch „sie/ihnen“ im Plural –, weil sie sich weder als Mann noch als Frau sehen. Wenn das wirklich das einzige Problem ist, kann ich nicht glauben, daß es um echten Schmerz geht. Das ist absurd!

Zerbrechende Familienstrukturen, der Verlust des Glaubens, das Fehlen eines höheren Sinns und innere Leere hätten den Siegeszug der pseudoreligiösen Wokeness begünstigt: Dogmen, klare Regeln, Besserungsrituale und das Reinheitsgefühl, wenn man sie verinnerlicht. Eine Entwicklung, die jedoch zutiefst illiberal sei:

Nehmen wir an, ich würde mich ab morgen als Mann identifizieren, nur mit tiefer Stimme sprechen und mir ein Jackett anziehen. Da sagt der Liberale: Mach doch, so oft, wie du möchtest! Dagegen will der Woke den Staat dazu bringen, mich offiziell als Mann zu bezeichnen und jeglichen gesellschaftlichen Widerspruch unter Strafe zu stellen.

Woke wittern überall Diskriminierung und üben so Macht aus

Der Woke wolle sexuelle Minderheiten „befreien“, indem er unzählige Kategorien für sie schaffte, erklärt die „Chefreporterin Debatte“ beim Nachrichtenportal Nius. Er wolle Schwarze „befreien“, indem er ihren Anteil in jeder Fernsehsendung haargenau analysierte. Er kämpfe also für neue Schubladen – der Liberale hingegen für ihre Überwindung.

Letztlich entscheide sich die Machtfrage über die Kontrolle der öffentlichen Diskurse. „Die Woken beteiligen sich nämlich nicht gleichberechtigt an der Diskussion, sondern wollen bestimmen, wer überhaupt mitdiskutieren darf“, beobachtet Voss. „Bei den Woken reichen bereits harmlose Äußerungen, um jemanden auszugrenzen.“ Überall Diskriminierung zu sehen, sei dabei eine ihrer zentralen Machttechniken.

Die Folge sei ein verinnerlichter vorauseilender Gehorsam, den Voss so beschreibt: „Wer entsprechende Texte schreibt oder konforme Kunst produziert, wird belohnt. Wer eine abweichende Position vertritt, wird hingegen auf Linie gebracht – so stramm, dass er sich irgendwann selbst diszipliniert.“ Vor allem in den sozialen Medien hätten die Leute inzwischen gelernt, was sie noch öffentlich an Meinungen äußern dürften und was nicht. Letztlich sind auch diese Lerneffekte im Zuge der allgemeinen Wokeness mit dafür vernatworlich, dass sich der an Absurdität kaum noch zu übertreffende Trans-Kult so problemlos etablieren konnte.

Die Menschen „verkommen zu ihren eigenen Wärtern“, verweist Voss auf den französischen Philosophen Michel Foucault, der die Techniken subtiler Machtausübungen in den 1970er Jahren genau beschrieben hat. So unterschieden sich auch die gesellschaftlich erzwungenen Vorstellungen zum politisch korrekten Verhalten von der Machtausübung in klassischen Diktaturen wie der DDR, betont Voss.

Diskursverschiebung zurück in eine weniger ideologische Mitte

Die DDR sei ein System mit Befehlen „von oben“ gewesen, so Voss, während heute der Druck vielmehr durch vermeintlich „freiwillige“ Anpassungen funktioniere:

Er umfaßt alle Lebensbereiche – Freizeit, Ehrenamt, Schule, Arbeit, Freundeskreis –, aber es gibt nicht „den einen“ Einpeitscher, der vom Bürotisch aus alles kontrolliert. Was für den Erfolg der Wokeness sorgt, ist eine Mischung aus der Anziehungskraft der Ideologie für einige und den von Foucault beschriebenen Mechanismen der Massengesellschaft.

Was zumindest im Interview offen bleibt, ist die Frage, wie man dem teils ideologisch motivierten und teils eigendynamisch um sich greifenden Machtsystem entgegentreten kann. Kurz gesagt: Jede Stimme zählt. Jeder, der sich der subtilen Fremdbestimmung der Wokeness und Political Correctness entzieht, trägt zu einer Diskursverschiebung zurück in eine weniger ideologische Mitte bei.

Gelegenheiten dazu gibt es im Alltag genug, ohne gleich um soziale Teilhabe oder den Job fürchten zu müssen. Und eines ist dabei gewiss: Man steht nicht alleine da, denn die wenigsten Menschen sind von den abstrusen Inhalten der Wokeness überzeugt. Doch es ist, wie es schon immer gewesen ist: Die Mehrheit schweigt – solange, bis einer mal den Mund aufmacht.