„Aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive ist es nicht erforderlich, spezielle Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen“, schreibt der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner in seiner Stellungnahme für den Bundestag von 2016.
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner ist Rechtsanwalt für Kinder- und Jugendhilferecht und Sozialleistungsrecht sowie Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie. Er gehört zu den Herausgebern eines Kommentars des Sozialgesetzbuchs VIII, des Handbuchs Münder/ Wiesner Kinder- und Jugendhilferecht sowie der Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe. Wiesner veröffentlichte eine juristische Stellungnahme über die Frage, ob „Kinderrechte“ ins Grundgesetz aufgenommen werden sollen, im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages am 25. Januar 2016.
Zu Beginn widerspricht Wiesner der gängigen Annahme der „Kinderrechtler“, das Grundgesetz würde Eltern zu viel Macht über ihre Kinder verleihen (Seite 2):
Die Interpretation des Elternrechts (als Elternverantwortung) durch das Bundesverfassungsgericht führt indes zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Kindern, Eltern und Staat: Das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG berechtigt die Eltern, ihre Kinder frei von staatlichen Einflüssen zu erziehen, begründet aber auch tiefgreifende Pflichten im Sinne einer umfassenden und jedenfalls bis zur Volljährigkeit bestehenden Verantwortung für das Kind. Der Staat tritt gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG als Wächter auf den Plan, sofern die Eltern den Schutz des Kindes nicht selbst gewährleisten können.
Anschließend stellt Wiesner deutlich dar, warum es nicht erforderlich ist, „Kinderrechte“ im Grundgesetz zu verankern: Es existiere keine Schutzlücke für Kinder, diese seien „Subjekt der Verfassung“. Auch die Berücksichtigung der Interessen der Kinder sei gesetzlich bereits gegeben. Darüber hinaus ergebe sich auch aus der UN-Kinderrechtskonvention keine Notwendigkeit einer Verfassungsänderung. Diese entspräche ohnehin nur einer symbolischen Gesetzgebung (Seite 3 bis 6). Diese
spiegelt Handlungsfähigkeit und Entschlusskraft vor, die unmittelbar keine rechtlichen Konsequenzen hat. Sie weckt Erwartungen, die damit aber nicht eingelöst werden. Konkret auf die Rechte von Kindern bezogen suggeriert sie eine Verbesserung der Rechtsstellung von Kindern, die aber tatsächlich nur auf der Ebene des einfachen Rechts und der Praxis erreicht werden kann.
Prof. Wiesner befürwortet zwar, das Amt eines Bundeskinderbeauftragten einzuführen, betont aber, auf das bisherige Verhältnis zwischen Eltern, Kind und Staat im Grundgesetz Rücksicht zu nehmen (Seite 6f):
Bei der Formulierung der Aufgaben sollte aber das Dreiecksverhältnis zwischen Eltern- Kind-Staat berücksichtigt und eine Polarisierung zwischen Kinder- und Elternrechten vermieden werden. Ein zentrales Anliegen zur Realisierung des Kindeswohls muss die Wertschätzung der Eltern als primäre Garanten für die Sicherung des Kindeswohls sein. Sie nehmen die Rechte der Kinder wahr, solange diese auf Grund ihrer (fehlenden) Reife und Entwicklung dazu noch nicht in der Lage sind. Deshalb muss auch die Achtung des Grundrechts des Kindes zur Gewährleistung elterlicher Erziehungsverantwortung, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner neueren Rechtsprechung entwickelt (BVerfG v. 19.02.2013 – 1 BvL 1/ 11-1 BvR 3247/ 09) hat, Aufgabe eines/ einer Bundeskinderbeauftragten sein.
Die gesamte Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner kann man hier lesen.
Die Große Koalition möchte bis Ende 2019 einen ersten Entwurf für die Aufnahme von „Kinderrechten“ ins Grundgesetz vorlegen. Dies ist nicht der erste Versuch. In den vergangenen Jahren haben zahlreiche renommierte Rechtswissenschaftler Stellungnahmen und Gutachten zu dieser Frage verfasst, die wir hier in unregelmäßigen Abständen erneut veröffentlichen und in die aktuelle Debatte einbringen möchten.