Wenn feministische Journalistinnen auf Kinder verzichten, füllt das zahlreiche Meinungsbeiträge vornehmlich linker Gazetten. Sie kreisen in ihren sozialkritischen Artikeln, in denen sie sich mal mehr, mal weniger offensichtlich autobiografisch abarbeiten, immer wieder um das Thema Mutterschaft, und dies nicht erst seit dem Bestseller „Regretting Motherhood“. Eine von ihnen ist Anna Fastabend, 38 Jahre alt, Redakteurin bei der taz. „Mutter werden oder nicht: Bis das letzte Ei gesprungen ist“ lautet ihr Beitrag, der Anfang September erschienen ist.
Das Besondere an ihrem öffentlich gemachten Privatleben ist die Offenheit, mit der sie ihre widersprüchlichen Gefühle betrachtet. Anstatt die Reue über verpasste Gelegenheiten hinter emanzipatorischen Allgemeinplätzen zu verbergen, oder die nicht leiser werdenden Sehnsüchte mit feministischen Abwehrreaktionen zum Schweigen zu bringen, spricht Fastabend das aus, was in anderen Texten dieser Art nur als abgekapselter Schmerzpunkt durchschimmert: Ihre Entscheidung gegen ein Kind könnte ein Fehler gewesen sein.
„Unsere Autorin wollte die meiste Zeit kein Kind“, heißt es im Teaser, doch was die beste Grundlage dafür ist, ganz anders über eigene Kinder zu denken, bringt Fastabend bereits in den ersten zwei Sätzen auf den Punkt:
Einer der wenigen Momente in meinem Leben, in denen ich wirklich ein Kind wollte, war 2012 während eines Sommerurlaubs auf Korsika. Ich war 27 und schwer verliebt in meinen damaligen Freund, mit dessen uraltem VW-Kombi wir die Campingplätze an der Westküste der Insel abklapperten.
Es folgt in der Schilderung das, was die denkbar ungünstigste Voraussetzung dafür ist, um sich von Herzen ein Kind zu wünschen: Eine emotionale Zurückweisung des Partners. Die Beziehung kühlt ab. Als einige Jahre später Fastabends damaliger Freund doch ein Kind möchte, ist sie nun die Zögerliche, die eine ganze Palette an rationalen, feministischen und egoistischen Gründen auflisten kann, die gegen das Kind sprechen.
„Ich will keine Hülle sein, sondern der Kern“
Entscheidend aber sind die Gefühle. Aus dem vollkommen irrationalen, aber glasklar empfunden Kinderwunsch der mit Haut und Haar Verliebten wurde ein „Ich will nicht, dass ein Mann seinen Samen in mich pflanzt.“ Solche ehrlichen Sätze sind es, die den frei zugänglichen Artikel lesenswert machen. Enttäuschung und Schmerz gehen so tief, dass sie den Wunsch, ein Kind – und zwar nicht irgendein Kind, sondern ein Kind von ihm – zu bekommen, in sein Gegenteil verkehren.
„Ich will nicht, dass da etwas in mir heranwächst und meinen Körper besetzt. Ich will keine Hülle sein, sondern der Kern“, schreibt Fastabend. Vordergründig könnte man solche Auslassungen als egoistisch werten. Doch wer in solchen Fällen den Egoismus hinterfragt und den Frauen Abwehrreaktionen und verletzte Gefühle attestiert, zieht sich den Unmut der Feministen zu. Und genau an diesem Punkt unterscheidet sich Fastabend von ihren Kolleginnen. Sie stellt ihre damaligen romantischen Gefühle, als sie noch liebend gerne die schützende Hülle für „sein Kind“ geworden wäre, nicht grundlegend in Frage, und sie stellt selbst fest, wie sehr der Kinderwunsch trotz aller zeitgeistigen Vorbehalte in ihr rumort.
Von Jahr zu Jahr wird die Contra-Liste länger. Unzählige Sorgen, Ängste und Pflichten sprechen gegen eigene „Reproduktionsarbeit“. Man fragt sich, was eigentlich auf der Pro-Seite steht? Nichts, nur ein bohrendes Gefühl, in das sich mit jedem Jahresschritt in Richtung Menopause etwas mehr Wehmut hineinmischt.
Sämtliche Klischees postmoderner Anti-Kind-Gründe
Fastabend kommt den ganzen langen Text über nicht zu einem Ergebnis, was sie eigentlich wirklich will. Sie hadert damit, dass ihre biologische Uhr ihr die Entscheidung schon bald endgültig abgenommen haben wird:
Ich ärgere mich, dass ich mich durch mein jahrelanges Zögern in eine Situation hineinmanövriert habe, in der ein eigenes Kind von Tag zu Tag unwahrscheinlicher wird. Wobei: Bin ich wirklich alleine schuld daran? Was ist mit der Verantwortung unserer Gesellschaft, die immer noch nicht familienfreundlich genug ist, um uns Frauen davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee ist, Mutter zu werden? Oder hatte ich doch recht damit, mich all die Jahre an kinderlosen Frauen zu orientieren?
Fastabend, die Angst davor hat, in „die totale Abhängigkeit von einem Mann“ zu geraten, klappert von „schlaffen Brüsten“ über „Karriereverzicht“ bis zur „Einfamilienhausfalle“ sämtliche Klischees postmoderner Anti-Kind-Gründe ab. Der geplante Roman, den sie als beanspruchte Mutter nicht mehr schreiben könne, setzt dem noch die Spitze auf. Man spürt: So richtig für voll nimmt sie ihre ganzen Einwände selbst nicht. Doch Fastabend kommt auch nicht darauf, was an ihrer Analyse nicht stimmig ist. Denn es geht nur um sie und ihre Befindlichkeiten, es geht um ihren Kinderwunsch und was alles dagegen spricht. Das ist der Modus, in dem man sich endlos im Kreis um sich selbst dreht, bis das letzte Ei gesprungen ist.
Fastabend erkennt nicht, dass sie irgendwann dazu übergegangen ist, das Pferd von hinten aufzuzäumen: Der Kinderwunsch nimmt viel Raum ein, während die Liebesbeziehung als Voraussetzung an Bedeutung verliert! Die letzte Konsequenz dieser Sichtweise ist eine Samenspende. Eine Methode, die für Fastabend nicht in Frage kommt. Doch die Männer, zu denen sie im Laufe ihres vierten Lebensjahrzehnts Beziehungen hat, wirken wie austauschbare Platzhalter. „Dann – die vorherige Beziehung dauerte nicht mal ein Jahr – tritt ein neuer Mann in mein Leben“, heißt es etwa. Zumindest im Text fehlt in den äußerst knappen Erwähnungen jede Spur von Hingabe, Romantik und Verliebtheit. Zu mehr als einer möglichen Samenspende scheinen die wechselnden Statisten im Leben von Fastabend nicht zu gebrauchen zu sein.
Die verlorene Fähigkeit zu lieben
Letztlich ist es nicht der Kinderwunsch, sondern der Wunsch, jemanden so sehr zu lieben, dass man ein Kind mit ihm haben möchte und alle Contra-Listen dieser Welt hinfällig werden, der für Fastabend nicht mehr in Erfüllung zu gehen scheint. Das ist das eigentliche Drama hinter der langen Abarbeitung an der Frage „Kind-Ja-Oder-Nein?“ Und das Drama beginnt schon früh: „Kinder, die bekommen immer nur andere. Ich nicht. Ich hüte mich vor ihnen, ja, verhüte, seitdem ich 16 bin. Und wenn mal etwas schiefgeht, nehme ich die ‚Pille danach‘“, schreibt Fastabend.
Hier zeigt sich wieder einmal das zerstörerische Erbe der sexuellen Befreiung. Seit Generationen werden junge Menschen dazu verleitet, die große Liebe dort zu suchen, wo eigentlich die Ehe vollzogen wird. Sie erleben seit dem Teenageralter in wechselhaften Beziehungen die intimste Begegnung, die zwischen zwei Menschen möglich ist. Mit jedem Beziehungsabbruch – egal, ob Gelegenheitssex, ein Date, das im Bett ausklingt, oder das Ende der ersten Liebe – verlieren die oft noch nicht einmal Volljährigen etwas von ihrer Fähigkeit, sich einem anderen Menschen vollständig hinzugeben.
Je älter sie werden, umso mehr haben Frauen Angst davor, sich von einem Mann abhängig zu machen. Was sie tatsächlich ängstigt, ist, sich eingestehen zu müssen, dass sie dazu inzwischen gar nicht mehr in der Lage sind, weil sie viele Teile ihres Herzens schon in unzähligen Betten an andere Männer verloren haben. Was bleibt, ist oftmals ein unerfüllter Kinderwunsch und die Sehnsucht, noch einmal diese tiefen romantischen Gefühle von vor vielen Jahren zu spüren.