Kindesmissbrauch in der Familie: Mythen und Fakten

Das Bundeskriminalamt hat im Oktober 2023 erstmals ein Bundeslagebild „Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“ veröffentlicht. Die Erhebung, die sich auf das Berichtsjahr 2022 bezieht, schlüsselt unter anderem auch nach der prozentualen Verteilung hinsichtlich der Vorbeziehung zwischen Opfern und Tatverdächtigen auf. Die Zahlen sind einen näheren Blick wert, denn sie widerlegen die geläufige Vorstellung, dass die Täter meist aus der Kernfamilie stammen.

Seit die großen Missbrauchsskandale an die Öffentlichkeit kamen, hat die von Grünenanhängern dominierte Medienbranche keine Gelegenheit ausgelassen, jene Missbrauchsfälle, in denen Kinder ihren „engsten Familienmitgliedern schutzlos ausgeliefert“ waren, zu einer Erzählung über die Familie als Hort des Bösen zu verdichten. „Kinder, die sexuelle Gewalt in der Familie erleben, sind ihr oft über Jahre schutzlos ausgeliefert“, beginnt etwa ein SWR-Beitrag, doch das einzige Beispiel im Artikel handelt von einem „Stief-Opa“ als Täter.

Wenn von „Kindesmissbrauch in der Familie“ die Rede ist, zielt das weniger auf Kulturkreise, in denen Kinderbräute üblich sind, sondern vor allem auf die weiße, biodeutsche Vaterfigur: „Schützt vor der bösen Fee. Aber nicht vor Papa“, stand auf beleuchteten Werbeplakaten in Berlin. Dazu das Bild eines kleinen, blondgelockten Mädchens im weißen Tüllkleidchen. Sie hält einen Zauberstab mit goldenem Stern an der Spitze und scheint mit ängstlichem Blick jemanden zu fixieren. „75 % aller Missbrauchsfälle passieren in der Familie“ steht etwas kleiner unter dem Papa-Spruch.

Innocence in Danger: „Kinder sind ihren Familien schutzlos ausgeliefert“

Initiator der Kampagne war die Kinderschutzorganisation „Innocence in Danger“. Während der Corona-Lockdowns 2021 sollten irritierende Plakate darauf aufmerksam machen, „dass sexueller Missbrauch am häufigsten in der eigenen Familie vorkommt.“ Forschungen würden das belegen. „Im Lockdown fallen gesellschaftliche Kontrollmechanismen durch Schule oder Vereine weg“, erklärte Julia von Weiler, Geschäftsführerin des Vereins. „Kinder sind ihren Familien schutzlos ausgeliefert.“

Aus den „Forschungen“ wird jedoch in der näheren Erklärung das Ergebnis einer einzelnen Studie „des UBSKM, demzufolge sexuelle Gewalt an Kindern in 75 % der Fälle im engsten Familien- und Bekanntenkreis ausgeübt wird.“ UBSKM? Eine Fußnote hinter der mysteriösen Abkürzung führt ans Ende der Kampagnen-Seite: „Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs: ‚Fakten und Zahlen zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche‘, Stand: 29.07.2020“.

Das Amt des Unabhängigen Beauftragten wurde 2010 von der Bundesregierung in Folge der Missbrauchsskandale eingerichtet. Auf dessen Webseite findet man die zitierte Studie und darin folgenden Satz: „Sexuelle Gewalt findet am häufigsten innerhalb der engsten Familie statt (ca. 25 %) sowie im sozialen Nahraum beziehungsweise im weiteren Familien- und Bekanntenkreis (ca. 50 %), zum Beispiel durch Nachbarn oder Personen aus Einrichtungen oder Vereinen, die die Kinder und Jugendlichen gut kennen.“

Feministische Aversion gegen das Patriarchat und die traditionelle Familie

Für die aufrüttelnden „Media Lightboards“ und „City-Light-Poster“ von „Innocence in Danger“ wurden also mal eben die 50 Prozent der Missbrauchstäter, die laut UBSKM aus dem weiteren sozialen Umfeld der Kinder stammen, zur engsten Familie gezählt. Hängen bleibt beim Betrachter: 75 Prozent der Missbrauchsfälle begehen Papas an ihren kleinen blonden Mädchen. Von Weiler betonte: „Hier geht es um Kinder, die vergeblich versuchen, sich vor ihren eigenen Familienangehörigen zu schützen.“

Eine feministische Aversion gegen das Patriarchat und die traditionelle Familie lässt sich hier kaum leugnen, doch den sehr weit gefassten Familienbegriff von „Innocence in Danger“ einmal beiseite gelassen – welche Realität verbirgt sich eigentlich hinter der UBSKM-These, 25 Prozent der Täter stammten aus der „engsten Familie“? Passieren die meisten sexuellen Übergriffe auf Kinder im sozialen Nahraum: in der Kernfamilie oder der Verwandtschaft, wie es auch im SWR-Beitrag heißt?

Die erstmals so detailliert vorliegende BKA-Statistik relativiert das Bild von der Familie als Tatort des unentdeckten Kindesmissbrauchs. Vor allem Väter von kleinen blonden Mädchen haben nun ein entlastendes Zahlenwerk in der Hand, falls die Nachbarn die Hilfe-Hotline von „Innocence in Danger“ wählen.

Papa- und Familienbashing lenkt von den wahren Tätern ab

Die den BKA-Daten zugrundeliegende Anzahl von 17.168 Opfern verteilt sich prozentual auf folgende Beziehungen zu den Tätern: 30 Prozent der Opfer hatten zum Täter eine „informelle soziale Beziehung“. Gemeint sind damit Täter aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis. In 29,4 Prozent der Fälle gab es keine Vorbeziehung zwischen den Opfern und Tätern. Eine familiäre Beziehung lag in 22,1 Prozent der Missbrauchsfälle vor. In 12,5 Prozent der Fälle war die Vorbeziehung unbekannt, und die restlichen 6 Prozent entfallen auf „formelle soziale Beziehung“ innerhalb von Institutionen, Organisationen oder Gruppen.

Quelle: BKA 2023

Nicht einmal ein Viertel der Missbrauchsfälle haben einen familiären Hintergrund. Und jene Fälle, die sich laut BKA in den Bereich „familiäre Beziehung“ einordnen lassen, umfassen vom Großonkel bis zum Stief-Opa sämtliche Familienmitglieder. Zudem sind 30 Prozent der Täter selbst Kinder und Jugendliche, also im Familienkontext zum Beispiel Halbgeschwister oder Cousins. Unterm Strich reduziert sich die Wahrscheinlichkeit für den leiblichen Vater als Täter erheblich.

Desinformationskampagnen wie die von „Innocence in Danger“ tragen also nicht zu einer effektiveren Eindämmung von Kindesmissbrauch bei, sondern sie lenken vom tatsächlichen Täterprofil ab. Die eigentliche Motivation hinter dem Papa- und Familienbashing ist es, das linke Feindbild Familie aufrechtzuerhalten und zugleich in die normalen Vater-Mutter-Kind-Beziehungen einen vergifteten Keil aus üblen Generalverdächtigungen zu treiben.