Die Lufthoheit über den Kinderbetten

Staatliche Eingriffe ins Privatleben sind keine Neuigkeiten, doch der Umstand, dass ein liebloser Staat sich in die Erziehung einmischt, ist bedenklich und gefährdet die kindliche Entwicklung. Von Peter Levin.

Der Gender-Code lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Sowohl die Sexualisierung der Kinder als auch die Ent-Sexualisierung der Erwachsenen münden in einer Legitimation staatlicher Zugriffe. Der Staat behandelt Kinder wie kleine Erwachsene und erwachsene Eltern wie kleine Kinder. Die innere Verschraubung dieser gegenläufigen Dynamik macht die Raffinesse des Codes aus. Der genetische Code konnte erst entdeckt werden, als die Doppelhelix der DNA vorstellbar wurde. Ebenso kann der genderische Code erst geknackt werden, wenn die Architektur gegenläufig drehender Spiralen erkennbar wird. 

Die Sexualisierung beginnt jetzt schon bei kleinen Kindern im Kindergarten. Sexualisierung ist der Versuch, die sexuellen Aufladungen der Erwachsenen auf Kinder zu übertragen. Dagegen regt sich Widerstand. Ich möchte hier auf eine Verengung dieses Widerstands hinweisen und die innere Sprengkraft dieses Themas betonen. Da wir es mit der Gleichzeitigkeit von Sexualisierung und Ent-Sexualisierung zu tun haben, wird der Widerstand gegen die staatliche Sexualpädagogik nicht umhinkommen, sich mit dieser Widersprüchlichkeit des Gender-Codes auseinanderzusetzen.

In vielen Gesprächen mit Eltern bekomme ich den Eindruck, dass sie irritiert und verwirrt sind. Es ist eine Verwirrung des Geistes und der Seele. In meiner bisherigen Erfahrung ist es vor allem die frühzeitige Intellektualisierung der Kinder, die Eltern zu schaffen macht. An dieser sind sie selbst entscheidend beteiligt. Wenn sie der staatlichen Sexualpädagogik widersprechen, geraten sie in innere Widersprüche und müssen mit eigenen Ambivalenzen und Verstrickungen umgehen. 

Da die Reaktionen der Kinder krasser und bizarrer werden, wächst die Sorge der Eltern. Aber erst wenn sie die Kosten der Intellektualisierung und Ent-Sexualisierung am eigenen Leib erleben, werden sie den Gender-Code knacken können. Mir geht es bei der Entschlüsselung vor allem darum, das Geheimnis der Kindheit und den Zauber unserer Kinder zu bewahren. 

Forcierte und frühzeitige Intellektualisierung und Sexualisierung

Das Erleben der Kinder ist leibzentriert und an Beziehung gebunden. Alles dreht sich um den Körper und die Verkörperung. Kinder sind in den ersten Jahren und noch in der Grundschule voller Bewunderung und Ehrfurcht für Eltern und Erzieher. Meist ignoriert der Umgang der Erwachsenen mit Kindern diese beiden Aspekte des kindlichen Wesens. Die Pädagogik ist sprachlich-kognitiv und entkörpert, die Beziehungen sollen rational – auf Augenhöhe – sein. Diese Form der Intellektualisierung belastet Kinder seit Längerem. Die forcierte Sexualisierung der letzten Jahrzehnte schlägt in die gleiche Kerbe und bringt für manche Kinder das Fass zum Überlaufen.

In der normalen Sexualentwicklung kommen die Impulse und Aufladungen aus dem Kind, und gesunde Erwachsene antworten darauf, ohne Kinder zu Sexualpartnern zu machen. Geschlecht und Geschlechterbeziehung spielt erst ab dem pubertären Erwachen zwischen 13 und 15 Jahren eine Rolle. Die Interventionen der staatlichen Sexualpädagogik widersprechen dem Wesen des Kindes. Da Kinder ihre Überforderung nicht sprachlich-kognitiv benennen können, drücken sie ihre Verwirrung auf andere Weise aus. Die Sprache der verwirrten Kinder ist die Symptombildung. Symptome können sich im Verhalten oder im Sprachgebrauch des Kindes zeigen. Werden diese nicht gehört und verstanden, greifen Kinder zu extremeren Mitteln, um die Aufmerksamkeit der Eltern zu erhalten; am Ende bleibt nur noch der Ausweg in die Krankheit.

Ähnliches gilt für die forcierte Intellektualisierung der Kinder. Auch hier kommen Impuls und Wertschätzung der Intellektualität von den Erwachsenen. Die frühzeitige Betonung kognitiver Leistungen hat dazu geführt, dass Kinder wie willens- und verantwortungsfähige Erwachsene behandelt werden. Auch wenn es ihrem Wesen widerspricht, werden Kinder so lange mitmachen wie möglich, selbst wenn sie innerlich zerreißen und kurz vor dem Platzen sind. Während ihre kognitiven Höchstleistungen gelobt werden, erklingen ihre Hilferufe immer lauter. Wutanfälle und Ticks kommen immer häufiger vor. Die sprachliche Verwirrung bei der Benennung von Vater und Mutter, den diversifizierten Beziehungskonstellationen und den Geschlechtern anderer Kinder sind ebenso keine Seltenheit mehr wie bizarres Sexualverhalten. Es ist zu befürchten, dass die Auswirkungen der Sexualisierung dazu führen, dass die Kinder ernsthaft krank werden. Noch ist kein Ablassen der Politik erkennbar, im Gegenteil. Was früher ein Randphänomen war, ist nun ins Zentrum der gesellschaftlichen Praxis gerückt. 

Lufthoheit über Kinder- und Ehebetten

Die Durchsetzung des Gender-Codes hat seit den 1980er Jahren Fahrt aufgenommen. Es gab erste Hinweise, dass der genderische Code sich flächendeckend etablieren könnte. Wer „Kinder an die Macht“ (Herbert Grönemeyer) bringen will, hat entweder keine Ahnung vom Wesen des Kindes oder Schlimmeres im Sinn. Konkreter wurde dann schon Olaf Scholz, der 2002 das Ziel seiner Politik, die „Lufthoheit über den Kinderbetten“ zu erlangen, deutlich formuliert hat.

20 Jahre später hat der Staat seine Hoheitsrechte über die Kinder und ihre Betten etabliert und greift nun nach den Ehebetten. Zudem hat er seine sozialpädagogischen Bodentruppen ins Feld geschickt. Die Methodik und Systematik des Codes ist beeindruckend und erfolgreich. Sein Erfolg liegt an seiner verwirrenden Widersprüchlichkeit, seinen vernebelnden Paradoxien. Diese sind eine Einladung, sich in Illusionen zu verlieren. Anstrengender ist es, die Lufthoheit über die eigenen Verstrickungen und Ambivalenzen wiederzugewinnen.

Stabilität und Erfolg des genderischen Codes erschließt sich in einem Rückblick auf die Französische Revolution. In dieser wurde erstmals die Idee und Politik einer von Natur und Wesen des Menschen völlig unabhängigen Identität realisiert. Zudem katapultiert die Französische Revolution die Kinder mitten ins Zentrum der politischen Diskussion und der staatlichen Fürsorge. Tatsächlich lässt sich an diesen beiden Veränderungen die Grundstruktur (source code) der Trennung von Sex und Geschlecht rekonstruieren. 

Die Gender-DNA besteht aus drei ineinander verschraubten Gegensatzpaaren. Sie gehören seit der Französischen Revolution zum Marschgepäck wohlfahrtsstaatlicher Mobilisierungsprogramme:

1. Gegensatz: Unschuldige Natur – verderbliche Zivilisation

2. Gegensatz: Kinder sind Natur – Eltern stören nur

3. Gegensatz: Tugendhafter Staat – undankbare Staatsbürger

Unschuldige Kindernatur – verderbliche Menschenzivilisation

Der französische Historiker Philippe Ariès hat in seiner „Geschichte der Kindheit“ die Veränderungen im 18. und 19. Jahrhundert als Übergang von der Schamlosigkeit zur Unschuld beschrieben. Das bis dahin schamlose Kind wurde zum Symbol der Unschuld und zur Metapher für die Reinheit der Seele. Dadurch wird der Gegensatz von unschuldiger Natur und degenerierender Zivilisation möglich. Zwar hat Freuds Entdeckung des primären Narzissmus und der sexuellen Natur der Triebe diesem Gegensatz von unschuldiger Natur und naturfeindlicher Menschen-Zivilisation widersprochen und das Kind wieder in die Gemeinschaft der Bedürfnis- und Triebwesen (Gattung Mensch) zurückgebracht; aber Sigmund Freuds und Melanie Kleins realistisches Konzept der kindlichen Entwicklung hatte keinen nennenswerten Einfluss auf das neue Natur- und Geschlechterverhältnis. 

Die Entgegensetzungen von reiner (Kinder-)Natur und verdorbener (Eltern-)Kultur, ist heute tief in der DNA der sozialstaatlichen Linken wie Rechten verwurzelt. Deren neues Credo verbindet Natur- und Kinderschutz: Kinder sind Natur, Natur ist gut; der Mensch stört sie, der Staat beschützt sie. Naturschutz und Kinderschutz sind zur Staatsräson geworden.

Wenn es um Kinder und die soziale Frage geht, stehen sich die amerikanische und Französische Revolution diametral entgegen. Von Maximilian de Robespierre stammt die Aussage, dass er weder Monarchie noch Revolution kenne, nur die soziale Frage. Es ist kaum ein krasserer Gegensatz – als jener zur amerikanischen Revolution, die weder Kinder noch eine soziale Frage kennt – vorstellbar. Die Französische Revolution beantwortet die soziale Frage vor allem pädagogisch und sozialstaatlich. Diese Antwort hat eine enorme Langzeitwirkung auf Kinder entwickelt

Der tugendhafte Staat

Wie so oft drücken es Robespierre und sein Mitstreiter Louis Antoine de Saint-Just in aller Klarheit aus. Saint-Just war jener Revolutionär, der sein Credo der Gerechtigkeit durch Gleichheit notfalls auch durch gewaltsame Gleichmacherei durchzusetzen bereit war. Der heutigen Generation an Pädagogen ist die Virulenz des Spannungsverhältnisses von Gerechtigkeit und Gleichheit kaum noch bewusst. Im Gespräch mit Pädagogen und Schulkindern fällt heute auf, dass fast alle Themen der Gleichheit vor dem Gesetz (Rechtstaatlichkeit) als Fragen der Gerechtigkeit verhandelt werden. Komplexe und komplizierte Gerechtigkeitsfragen werden dann wiederum im Rückgriff auf ein – von jedem konkreten Recht abgelösten – allgemeinen Gleichheitsprinzip beantwortet. Damit werden selbst Themen, die sich sowohl der Gerechtigkeit als auch der Gleichheit entziehen, politisch verwertbar.

Am Einsatz der Eltern für ihre Kinder, den schlaflosen Nächten und Freudentränen bei den ersten Schritten, ist ebenso wenig gerecht, wie die Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz der Garant einer lebendigen Geschlechterbeziehung ist. Wohin die systematische Verwechslung von Gerechtigkeit und Gleichheit führen kann, hat Saint-Just bewiesen. Er war bereit, Gleichheit unter der Guillotine als Verkörperung der Gerechtigkeit zu propagieren. Für ihn liegt die „Freiheit der Menschen … in ihrem Privatleben“. Die Regierung ist „eine Quelle der Harmonie“, sie schützt den Zustand der Harmonie und Einfachheit vor den „Undankbaren und Bösen“. Der Staat ist tugendhaft und laut Robespierre ist selbst sein Terror (Guillotine) noch Ausdruck dieser Tugendhaftigkeit.

Den Wohlfahrtsstaat als Quelle privater Harmonie begrüßen viele Eltern. Sie machen bisher – zustimmend oder widerwillig – bei den vielen Versuchen, Gerechtigkeit durch Gleichmacherei zu realisieren, mit. Der „Terror“ kommt von den Kindern, die nicht mehr mitmachen, die Überwältigung durch staatliche Tugend nicht mehr aushalten. Dann kollidiert die elterliche Sorge mit der staatlichen Fürsorge. Der Zustand der Harmonie ist weg, und wenn Eltern sich widersetzen, gelten sie als undankbar. Einerseits beanspruchen sie die Freiheit, ihre Kinder so zu erziehen, wie sie es für richtig halten. Andererseits haben sie die Luft- und Deutungshoheit der sozialpädagogischen Bodentruppen begrüßt oder zumindest akzeptiert. Mit der fürsorglichen Belagerung (Heinrich Böll) hatten sie einen Frieden geschlossen, der nun teilweise brüchig geworden ist.

Der Schutz des lieblosen Staates vor den liebenden Eltern

Natürlich wissen alle, dass eine Regierung – möge sie noch so tugendhaft und gerecht sein – das Unmögliche nicht möglich machen kann: die Trennung von sexueller Praxis und Geschlechterbeziehung. Aber anstatt Realismus und Einsicht walten zu lassen, wird alles auf den Kopf gestellt, bis niemand mehr weiß, was oben und unten, Frau und Mann, Kind und Eltern ist – das scheint der Zweck des Manövers. Sinn macht dieses nur, da es in den großen Trend der kindlichen Intellektualisierung passt. Wird Kindern entkörpert und kognitiv Sprache und Denken angeboten, führt dies bei Kindern nicht zu Menschenverstand und Rationalität, sondern zu geschwätzigen Rationalisierungen und erfahrungslosem Geplapper. Neben diesen typischen Folgen der frühkindlichen Intellektualisierung nehmen bizarre Ticks und exzessives Masturbieren zu. Noch wird dies nicht als Folge der Sexualpädagogik gesehen.

Kinder dürfen nicht mehr kindlich sein, weshalb viele ihre Bezauberungs-Fähigkeit verlieren. Sie wissen nicht, wie ihnen geschieht und sind von den aufgezwungenen Themen der Erwachsenen völlig überwältigt. Vom „Überwältigungsverbot“ des Beutelsbacher Konsens haben manche der heutigen Pädagogen noch nicht einmal gehört. Alles steht Kopf – das Private wird öffentlich, ohnmächtige Kinder sollen mächtig sein, verantwortliche Eltern werden entmündigt. Kein Wunder, wenn das Kindliche der Kinder schon im Kindergarten verlorengeht.

Wenn ein liebloser Staat glaubt, Kinder vor liebenden Eltern schützen zu müssen, und dann noch sorgende Eltern entmündigt, wird der Staat selbst despotisch und kindisch. Der kindische Staat inthronisiert Kinder, die dann als Könige und Propheten ganze Reiche regieren und das zuweilen dreckige Geschäft der Gewaltausübung rechtfertigen. Eltern dürfen sich um das „Geschäft“ der Kinder kümmern und Windeln wechseln, solange das dabei verborgene Geschlecht unter die Deutungshoheit staatlicher Sexualpädagogik fällt. Eine solche Darstellung mag überspitzt klingen. Sie versucht, die herrschende Umkehrung aller Verhältnisse bildlich zu fassen.

Freiheit ist privat, Sex öffentlich

Der Umstand, dass es eigentlich fast niemanden gibt, der die säuberliche Trennung von Sex und Geschlecht real leben kann, unterstreicht den Wirklichkeitsverlust der Akteure. Wenige sind bereit, selbst die Kosten einer solchen Trennung zu übernehmen. Sowohl die volkswirtschaftlichen als auch die triebdynamischen Kosten sind immens. Dem Geschlecht werden die lustvollen und konfliktreichen Beziehungsaspekte ausgetrieben. Das Idealbild dieser Sexualpädagogik ist ein Geschlecht ohne Geschlechterbeziehung, in vollständiger Gleichheit und Gerechtigkeit.

Das ist nur als Selbstbefriedigung möglich. Das Lob der Onanie ist so alt wie der Gender-Code selbst. In der Selbstbefriedigung wird Sex gerecht, klimaneutral und nachhaltig. Selbst die möglichen Auswirkungen des Geschlechtsverkehrs (Kinder) sind politisch geworden. Der Staat greift in das Privateste ein, das es zwischen Menschen gibt: die Liebe und die Geschlechterbeziehung. Mit der Politisierung der Geschlechterbeziehungen sind alle Hüllen gefallen. Der Staat ist bei den intimsten Momenten mit dabei – wem würde da nicht die Lust vergehen?

Das Saint-Just-Zitat verdeutlicht den kulturellen Unterschied zwischen der französischen und amerikanischen Erfahrung. Die amerikanische Republik geht davon aus, dass Freiheit gerade im öffentlichen Raum stattfindet und am Schutz vor Übergriffen alle beteiligt sind. Republik meint aber auch Schutz vor der Gewalt des Staates selbst. Die Regierung darf in die kreative Disharmonie der Diversität der Bürger nicht eingreifen. In der gegenwärtigen Situation würde Saint-Just sagen: Freiheit ist privat, Sex öffentlich. Die amerikanischen Revolutionäre würden das umdrehen. 

Die Trennung des untrennbar Verbundenen

Diese transatlantische Differenz kann helfen, das Gefühl der Irritation angesichts des permanenten staatlichen Sexualkundeunterrichts zu vermitteln. Auch wenn Europäer und Eltern es nicht ganz nachvollziehen können, gibt es offenbar in anderen westlichen Nationen, mit denen wir viel gemeinsam haben, eine breite Schicht an Menschen, denen die Idee eines staatlichen Sexualkundeunterrichts völlig fremd ist. Zivilisierte Eltern, die ihre Kinder lieben wie wir, die aber gar nicht auf die Idee kämen, dem Staat zu erlauben, Inhalte und Zeitpunkt dieses Unterrichts zu bestimmen.

In der staatlichen Sexualpädagogik entsteht ein seltsames Paradox: Geschlecht und Sex werden ständig öffentlich verhandelt und politisch gedeutet. Was im Privaten und Intimen zu Hause ist und nicht in die Öffentlichkeit und Politik gehört, wird nun ausgerechnet von einer a-politischen und a-sexuellen Generation öffentlich und politisch gemacht. Wer hier keine „asymmetrische Demobilisierung“ am Werk sieht, muss schon naiv sein. Dieses Paradox zieht weitere nach sich. Wer es bisher bewusst vermieden hat, öffentlich über Sex zu sprechen, muss dies nun tun, um Sex wieder zur Privatsache machen zu können und der politischen Sphäre wieder zu ihrem Recht zu verhelfen.

Die Chancen dafür stehen im Moment schlecht. Sex und Geschlecht sind heute nicht nur ein Thema der Konversation beim gepflegten Dinner, sondern werden ebenso im Zugabteil mit Fremden und beim Stuhlkreis im Kindergarten besprechbar. Die Politisierung der Sexualpädagogik ist mit einer erstaunlichen Entsexualisierung und Veröffentlichung des Geschlechts verbunden. Zugleich wird das Geschlecht von jeglicher Sexualpraxis abgelöst und als Gegensatz zum Naturwesen Mensch platziert. Eine derartige strikte Trennung des untrennbar Verbundenen kennen wir aus kultischen und rituellen Reinigungen. Dort wird Trennung als Entmischung vollzogen; das geschieht an besonders dafür ausgewählten und vorbereiteten Orten mit speziell dafür ausgebildetem Personal. Heute soll diese Entmischung ständig und von allen praktiziert werden, auch im öffentlichen Nahverkehr und auf Kinderspielplätzen.

Sex und Geschlecht – ohne Spannung und fein säuberlich getrennt

Im realen Leben ist die ganze Arithmetik der Trennung von Sex und Geschlecht kaum nachzuvollziehen. Sie ist kontra-intuitiv und lebenspraktisch völlig irrelevant. Wer schon einmal beim Sex die Geschlechtsorgane des Partners gesehen und berührt hat, wird kaum auf die Idee kommen, dass diese fein säuberlich – ohne die Vermischungslust der Körpersäfte – getrennt werden können; von den eigenen Organen ganz zu schweigen. Unseren Sex der biologischen Natur zuzuschreiben und das Geschlecht auf die Seite der kulturellen Willkür zu schlagen – das war schon in den Linguistik- und Soziologie-Seminaren der 80er Jahre kaum das Gähnen wert, das es auslöste.

Die Idee, dass Vermischung des Teufels ist und dringend durch staatlich-geprüfte Entmischungsexperten wiedergutgemacht werden muss, hat so manchen in die Arme einer selbst-aufklärerischen Religionswissenschaft getrieben. Schon damals war erkennbar: Wir bekommen es mit einer Generation zu tun, die nicht nur a-politisch und a-sexuell ist, sondern die es auch sein will und das ideologische Rüstzeug dafür mitbringt. Beide Strömungen, das A-politische und A-sexuelle, fanden sich in einer Partei, die große Probleme hat, sich von ihrer pädophilen Vergangenheit zu befreien. Kein Wunder, wenn sie nun propagiert, die ganze Kindheit zu sexualisieren und zudem der ganzen Welt die Lust am Sex und an der Geschlechterspannung zu verderben. Dem Wort „Geschlechterspannung“ hängt der süßliche Geruch einer sich selbst aufklärenden Geisteswissenschaft an.

Heute wird Geschlecht mit autistischer Selbstbestimmung und spannungslosem Geplapper über konfliktfreie Gerechtigkeit assoziiert. Damit hat die Politik die Ehebetten erreicht. 

Peter Levin lehrt und forscht in der ganzheitlichen Behandlung von Kindern und arbeitet in eigener Praxis. Er hat an mehreren deutschen und angelsächsischen Universitäten Natur- und Geisteswissenschaften studiert, unter anderem am Religionswissenschaftlichen Institut der FU Berlin. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf achgut.com.