„Vollzeitmutter“ – eine sympathische Provokation

Dass Victoria Bonelli ein Buch schreiben würde, hatte sie selbst nicht geplant. Mit fünf Buben im Alter von zwei bis acht Jahren ist die junge Mutter, die noch keine 40 Jahre alt ist, rund um die Uhr beschäftigt. Da kommt man nicht auf solche Ideen, und wenn doch, dann bleiben sie Ideen. 24/7 kümmert sich die studierte Kommunikationswissenschaftlerin, die einst ehrgeizige Karriereziele verfolgte, um ihren Mann, ihre Kinder und den Haushalt, und offenbar strahlt sie dabei solch eine Zufriedenheit aus, dass sie das Hause Bonelli – ihr Mann Raphael ist ein über die Grenzen Österreichs hinaus bekannter Psychiater – in eine Sphäre der Harmonie verwandelt.

Nun trug es sich aber zu, dass ein Verleger, der des Öfteren bei den Bonellis zu Gast war, um mit Herrn Bonelli die nächsten Buchprojekte zu besprechen, von der Atmosphäre echten Familienglücks so angetan war, dass in ihm die Idee zu einem Buch keimte, das diesmal nicht Herr sondern Frau Bonelli schreiben sollte. Er habe so einiges an Familienalltag mitbekommen, erinnert sich Frau Bonelli. „Was er sah, war, wie er sagte, so schön und harmonisch, so vom Aussterben bedroht und gleichzeitig eine scheinbar utopische Sehnsucht so vieler Menschen, dass er irgendwann darüber ein Buch machen wollte.“

Der Verleger hatte einen guten Riecher. Victoria Bonellis erstes Buch „Vollzeitmutter. Der wichtigste Beruf der Welt“ ist inzwischen ein Bestseller. Erst am Donnerstag brachte die WELT ein langes Interview – „Die Frage, wann ich denn wieder arbeiten würde, tut mir weh“ – mit der sympathischen Mutter, die derzeit ihr sechstes Kind erwartet. Sympathisch schon deshalb, weil sie weder die Antifeministin gibt noch in Rechtfertigungen verfällt oder ihre Vorstellungen zwanghaft an die Frau bringen will. Sie erzählt einfach. Sie erzählt, was sie beobachtet und bewegt, was sie denkt und fühlt, was sie geprägt, und was sie für sich als richtig erkannt hat. Frau Bonelli erzählt, wie sie Herrn Bonellis Frau geworden ist und warum sie das auch bleiben möchte.

„Eines meiner Lieblingswörter ist ‚Hingabe‘,“ schreibt sie, „die Gabe, das Geschenk seiner selbst, und ich bin überzeugt, dass die meisten Menschen Sehnsucht danach haben, sich hinzugeben.“ Hingabe? Klingt ein wenig nach „Stolz und Vorurteil“ und dem schmachtenden Liebesgeständnis eines Mr. Darcy. Auch das ist Hingabe, ja! Aber eigentlich geht es um viel mehr, und zwar um die lange Zeit, die auf so eine Liebeserklärung folgt. Es ist ein Entwicklungsprozess, bis Mann und Frau „am Du zum Ich werden“. Dem Entwicklungsprozess geht eine Entscheidung des Herzens voraus, die man „Liebe“ nennt, und die mit dem Ehegelübde besiegelt wird. Das sind die grundlegenden Einsichten, um die es Bonelli eigentlich geht. Das Mutter Sein in Vollzeit und in der Überzeugung, der wichtigsten Berufung nachzugehen, sind erst die Konsequenzen dieser Liebe. Keines der fünf Kinder musste in eine Krippe, und in den Kindergarten gingen sie erst, als sie es selbst wollten. Zwei der Bonelli-Buben wollten das erst mit fünf Jahren.

Die Hingabe ordnet auch im Alltag die Prioritäten. Die bald Sechsfachmama schreibt, wie sie ihren Kindern trotz Stress ruhig in die Augen sieht, wenn sie ihr ganz aufgeregt etwas erzählen, und sie schreibt, wie „der beste Ehemann der Welt“ ihr, wann immer möglich ein paar Kinder abnimmt, und ihr intuitiv genau dann eine komplette Auszeit verschafft, wenn ihr die Decke auf den Kopf zu fallen droht.

Die Hierarchie der Liebe, die wirklich funktioniert, hat Gott an erster Stelle“

„Die Ehe war zum jrößten Teile vabrühte Milch un Langeweile. Und darum wird beim happy end im Film jewöhnlich abjeblendt“, dichtete einst Kurt Tucholsky. Der kannte halt Familie Bonelli noch nicht, könnte man sagen, doch so einfach macht es sich die Sachbuch-Debütantin nicht. Weder erstickt sie den Leser mit utopischer Familienidylle als Dauer-Happy End, noch stellt sie verbrühte Milch, vollgekotzte Kinderklamotten, Wäscheberge, Stress und Frust als ihre liebsten Glücksmomente dar. Es scheint beim Lesen eher manchmal so, als ob eine Anekdote, in der die fünf Buben schick angezogen hinten in der Familienkutsche sitzen, auf dem Weg zu einem gesellschaftlichen Anlass, und plötzlich ihr Innerstes nach außen kehren, und in der nicht sie sondern „der beste Ehemann der Welt“ die Nerven behält, erst im Nachhinein beim Schreiben zu einem dann doch irgendwie glücklichen Augenblick werden. Wenn zwischen Mann und Frau die „Geheimnisse der Liebe“ (Kapitel 9) offen gelebt werden, liegt besonders im Alltag das wahre Glück verborgen.

Die eingangs erwähnte Reihenfolge beim sich Kümmern und Lieben – Mann, Kinder, Haushalt, beziehungsweise Frau, Kinder, Erwerbstätigkeit – war kein Zufall, doch sie ist unvollständig. Victoria Bonelli ist Christin mit klaren Prioritäten: „Die Hierarchie der Liebe, die wirklich funktioniert, hat Gott an erster Stelle. Dann kommt der Ehepartner. Dann erst die Kinder. Und dann lange nichts.“

Die Rollenverteilung ist bei den Bonellis klar geregelt. „Mein Mann bringt das Geld nach Hause und ich bleibe bei den Kindern“ erzählt Bonelli ganz frei heraus. „Wenn er zu Hause ist, dann freue ich mich, wenn er Zeit mit den Kindern verbringt, aber ich belaste ihn nicht mit Haushaltsaufgaben.“ Manch eine Leserin wird bei solchen Sätzen Schnappatmung bekommen und Bonelli refelxartig als Opfer struktureller patriarchaler Unterdrückung einordnen – zu festgefahren in der Mutterfalle, um ihre Ehe selbst noch als unglücklich wahrnehmen zu können.

Ich bin nicht zu Hause, weil ich so gerne putze, sondern wegen der Kinder“

Beim Lesen von Kapiteln, die überschrieben sind mit „Bitte – Danke – Entschuldigung“ oder „Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau“ erweckt Bonelli jedoch nicht den Eindruck, als wäre sie nicht emanzipiert genug, festzustellen, was für ihren Mann das Beste ist. Die Aufgaben müssten in einer Beziehung klar abgesprochen werden, da Konflikte sonst unausweichlich seien. Als Scheidungskind weiß Bonelli, wovon sie spricht. Es gebe keine „gesunde Streitkultur“. Streit bedeute Verletzung und Erniedrigung. ‚Immer‘ und ‚nie‘ seien dann die Killerwörter, ganz abgesehen von den Beschimpfungen. Die Bonellis werden leise, wenn sie sauer sind, und „halten die Klappe“, bis die Wut verraucht ist. Kritische Themen und Konflikte räumen sie in ruhigen Gesprächen und auf Augenhöhe aus dem Weg – um ihrer Beziehung willen, und nicht um dem anderen etwas vor den Latz zu knallen. Die eigenen Fehler erkennen, und die des Ehepartners verzeihen, auch das ist Hingabe. „Selbst der beste Ehemann von allen hat handfeste Fehler (die ich ihm aber nicht über ein Buch ausrichten werde)“, schreibt Victoria über Raphael. Sie seien ein Paar, das sich noch nie ernsthaft gestritten hat, schon gar nicht vor den Kindern.

Mit einem offenen Blick in ihre Generation und vor allem als Gattin eines Psychiaters erkennt Bonelli ihre Ehe und Familie als ein großes Geschenk. Wenn ihre zahlreichen Anekdoten die eigene Familie verlassen und sie über die Ursachen für gescheiterte Beziehungen, zerbrochene Familien und egozentrische Lebensentwürfe nachdenkt, tut sie das nicht vom Podest der Glückseligen herab. Statt Ratschläge zu verteilen, will sie das Geschenk weitergeben, dass sie empfangen durfte. Prägende Erlebnisse und Begegnungen hätten aus ihrem einst karrierebedachten Ich eine bessere Version ihrer selbst gemacht. „Ich wurde damals tief beschenkt und konnte so mein ehrgeiziges Leben ganz neu ausrichten“, schreibt Bonelli. „Dieses Geschenk, das ich empfangen durfte, will ich mit diesem Buch weitergeben.“

Doch ihr neu ausgerichtetes Leben als „Vollzeitmutter“ müsse doch wie eine Provokation anmuten, will die WELT wissen. „Provozieren will ich niemanden“, antwortet Bonelli. „Ich wollte die Arbeit der Hausfrau würdigen, auch wenn mir das Wort gar nicht gefällt. Es klingt antiquiert, hat einen negativen Touch. Und ich bin ja auch nicht zu Hause, weil ich so gerne putze oder aufräume, sondern wegen der Kinder.“

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