Schwanger nach einem One-Night-Stand, verliebt in einen anderen, beruflich kurz vorm Durchstarten – es gibt viele Gründe, die gegen das Kind sprechen, das Leonie unter ihrem Herzen trägt. Auf der Contra-Seite reagieren Angst und Panik, kaschiert als Vernunft. Und auf der Pro-Seite?
Da sind zum Beispiel Leonies Hände, die eine andere Sprache sprechen als ihr Kopf. Immer wieder legen sie sich schützend auf ihren Bauch. Auf der pro life-Seite geht es um Dinge, die sich rationalen Spiegelstrichlisten regelrecht entziehen, – um nichts weniger als die Frage nach dem Sinn im Leben, und darum, was es heißt zu lieben und geliebt zu werden. Der Stoff also, aus dem Romane sind. Das im Bernardus-Verlag erschienene Taschenbuch „Leonie. Bis die Morgenröte kommt“ von Maria Schober wurde geschrieben, um jungen Menschen eine Antwort zu bieten auf die Frage: „Wie kann mein Leben gelingen?“
Ist das Erstlingswerk der fünffachen Mutter, Bloggerin und Lebensschützerin ein pro life-Buch mit in Geschichte gepackten Argumenten aus der Schwangerschaftskonfliktberatung oder ein Liebesroman, der den Leser packt und reinzieht, bis die letzte Seite umgeblättert ist?
Romantik, Sehnsucht, Missverständnisse, Verzweiflung, Hoffnung. Und am Ende kriegen sie sich doch. Mit den Zutaten für eine aufwühlende Liebesgeschichte hat Schober auf 240 Seiten nicht gegeizt. Also alles erwartbar und kitschig? Nein, ein klares Nein sogar, denn mitten im Buch stirbt die Romantik. Bei Kinderarzt Andreas fühlt sich Leonie sicher und geborgen. Bei ihm „war der Platz, an dem sie für immer sein wollte.“ Und trotzdem schläft sie mit einem Unbekannten. Schober beschreibt in „Leonie“ die unkitschige Realität sexuell befreiter Menschen.
„Omi, was hältst du von freiem Sex?“
Andreas ist die Ausnahme und ein etwas überfrachtetes Ideal: Christ, Lebensschützer, ein Romantiker, der es ernst meint mit Leonie, der die erotische Spannung kultiviert, und der davon überzeugt ist, dass das Warten auf die Ehe mehr Freiheit verspricht als ein Lebensstil, in dem ‚jemanden daten‘ und ‚Sex haben‘ synonym gebraucht werden. Leonie zieht es trotz ihrer zeitgeistigen Ansichten intensiv zu Andreas. Aber sie will sich auch ins bunte Leben stürzen, genauer gesagt auf die Tanzfläche eines Nachtclubs und mitten in die Arme von Marco. Die Romantik stirbt, und ein ungeborenes Kind will leben.
„Du meinst, man sollte wirklich nur mit demjenigen schlafen, mit dem man sich ein Kind vorstellen kann? Das würde ja heißen, ich kann mit niemandem mehr Sex haben.“ – Leonie fällt es schwer, die Ansichten einer Freundin zu akzeptieren.
Der Sargnagel der Romantik waren die Ideale der 68er. „Omi, was hältst du von freiem Sex?“, fragt Leonie ihre Großmutter Gertrud auf den ersten Seiten. Die alte Dame, die ein Kind abgetrieben und ein anderes, Leonies Mutter Inga, in der österreichischen Provinz im Stich gelassen hat, um weiter ungebunden durch das revolutionäre Paris von Sartre und de Beauvoir zu driften, erscheint Leonie als die ideale Ansprechpartnerin. Denn sie denkt darüber nach, was für ein Leben sie führen und ob sie einmal Kinder haben möchte. Auf keinen Fall will sie ein „rückständiges“ Dasein fristen.
Die Schwärmereien ihrer Großmutter von ihrer Pariser Zeit imponieren Leonie. Die postmodernen Evergreens wie ‚Ungebundenheit‘, ‚Selbstbestimmung‘ oder ‚Erfahrungen machen‘ stehen im Kern für etwas, das dem Familiengefühl zwischen Großmutter und Enkelin entgegensteht. Der frisch aufgebrühte Kaffee duftet nach Heimat und Geborgenheit. Die allzu direkte Frage „Omi, was hältst du von freiem Sex?“ stößt der „alten Lady“ also ziemlich vor den Kopf, doch dann beginnt sie zu erzählen.
Immer wieder steigen die Bilder des One-Night-Stands in Leonie auf
In Gertruds Rückblicken verdichtet sich die transgenerationale Misere der „sexuellen Befreiung“, die eigentlich schon mit dem Trauma der beiden großen Kriege begann. Die im Roman als Aufhänger dienende Frage, ob Leonie Ja zu ihrem ungeborenen Kind sagen kann, steht eigentlich erst am Ende einer Kette von Ereignissen, die der Liebe ihre Basis entzogen haben.
Hier lässt Schober die jahrzehntelange Erfahrung aus der pro life-Beratung einfließen: Die Voraussetzung für ein Ja zum Kind, ist das unerschütterliche Ja des Vaters zu seiner schwangeren Frau. Anders ausgedrückt: Hinter den meisten Schwangerschaftskonflikten stehen keine Geld- und Karrieresorgen oder Egoismen wie „Ich will noch reisen!“, sondern unsichere und instabile Beziehungen zwischen zwei sehr im „Ich“ verhafteten Menschen. Wäre Leonie von Andreas schwanger, der das Ideal des Religionsphilosophen Martin Buber – „Der Mensch wird am Du zum Ich“ – geradezu verkörpert, hätte sie nicht eine Sekunde gezweifelt. Doch Leonie gibt Andreas den Laufpass, denn sie könne ihm das Kind eines anderen nicht zumuten, denkt sie.
Natürlich geht es nicht um das Kind an sich. Sondern das ungeborene Kind wurde im Empfinden Leonies deshalb zur Zumutung, weil es für Andreas die quicklebendige und täglich gegenwärtige Erinnerung daran wäre, dass Leonie mit Marco geschlafen hat. Im Kind wird etwas sichtbar, was sonst im Beziehungshandeln der 68er-Enkel mühevoll verdrängt wird. Sexuelle Intimität verbindet Mann und Frau dauerhaft.
„Die Moderne glaubt eben, dass es sich nur um ein körperliches Vergnügen handelt und sieht nicht die Tiefe des Geschehens“, versucht sich ein christlicher Mentor von Andreas in einer Erklärung für das Mysterium, wenn Mann und Frau „ein Fleisch“ werden. Leonie glaubt nicht an Gott, aber als Gottes Kind kann sie die transzendente „Tiefe des Geschehens“ fühlen. Immer noch spürt sie die „Hände auf ihrem Körper“, immer wieder steigen „die Bilder des One-Night-Stands“ in ihr auf.
„War Opa deine große Liebe?“
Menschliche Sexualität hat eine seelische Dimension. Sie verbindet Mann und Frau. Das hebräische Verb „jada“ und das griechische „ginosko“, die im Alten und Neuen Testament für Sex verwendet werden, bedeuten „(er)kennen“ und „kennenlernen“, den anderen „wahrnehmen“, also so vertraut mit ihm zu werden, wie es nur möglich ist, wenn man miteinander schläft.
Und Sex hat eine geistige Dimension. Mann und Frau vollenden in gegenseitiger Hingabe gemeinsam ihre Gottesebenbildlichkeit. Ihr Koitus (lat. „Verschmelzung)“ fällt gewissermaßen aus der irdischen Kategorie ‚Zeit‘. Sex verbindet Mann und Frau dauerhaft.
Erst durch das körperliche „eins“ Werden entsteht die tiefe seelisch-geistige Dimension, die selbst den One-Night-Stand in eine ganz andere Sphäre hebt, als eine Jahrzehnte alte platonische Freundschaft. Sex hat keine Vergangenheit, die man abhaken könnte. Man kann zwar alte Fotos löschen, aber nicht die ewige Verbindung zu dem Menschen, mit dem man geschlafen hat. Provokant ausgedrückt: Die Ex-Partner bleiben für immer mit im Bett. Das ist die verdrängte Bruchstelle der seriellen Monogamie. Die Ex-Beziehung ist der Tod der Romantik:
„War Opa deine große Liebe?“
„Nein Opa, war nicht meine große Liebe, aber er war der Mann, den ich am meisten liebte.“
„Wie jetzt, war er nun deine große Liebe oder nicht?“
„Weißt du, die große Liebe muss nicht immer der Mensch sein, den man sein Leben lang liebt.“
Oma Gertrud erinnert sich an ihre große Liebe Pierre:
„Durch die erneute Schwangerschaft und die Liebe des Mannes, den sie geheiratet hatte, war ihr viel bewusst geworden. Sie würde mit Pierre für immer verbunden sein. Nicht nur durch ihr gemeinsames Kind, sondern auch durch die Stunden, in denen sie sich geliebt hatten. Sie hatte das immer beiseite geschoben, aber durch Alfreds treue Liebe, wurde ihr immer klarer, das Liebe so viel mehr war, als kurze Momente des Glücks. Dennoch, auch die körperliche Liebe, auch bloße Sexualität verbindet Menschen.“
Wie der treu liebende Opa Alfred es ertragen hat, mit einer Frau verheiratet zu sein, deren Herz fragmentiert in ungezählten Pariser Betten zurückgeblieben, deren große Liebe er nie gewesen ist, erfährt man nicht. Liebe ist kein Gefühl sondern eine Entscheidung, heißt es. Hat Alfred sich entschieden, Gertrud, ihr Kind und die Verhältnisse so anzunehmen, wie sie nun einmal waren? Ein Blick in sein Herz hätte Gertruds Rückblenden ergänzen können. Ist es ihm gelungen, romantische Gefühle zu entwickeln?
Konnte Alfred die ständigen Schatten von Gertruds Ex-Freunden, die sich in ihre Seele und ihr Leib-Gedächtnis eingebrannt haben, in seine Gefühle integrieren? Sich für die Beziehung mit Gertrud zu entscheiden, bedeutete, ihre Vergangenheit zu akzeptieren. Genauer: Ihre Ex-Freunde zu akzeptieren. Noch genauer: Sich hinter ihnen einzureihen. Gertrud anzunehmen, hieß für Alfred, Gertruds unauflösliche Verbindung zu Pierre und den anderen Männern anzunehmen und ihre Anwesenheit besonders in jenen Augenblicken zu spüren, wenn „Körper, Geist und Seele angesprochen“ werden und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander fallen. Ist das verstörende Erleben solch einer sexuellen Inklusivität mit romantischen Gefühlen vereinbar?
Nein, sagt uns eine tiefe Ahnung, die nie irgendwo ausformuliert wird. Aber manchmal, wenn man genau hinhört, schwingt unsere Sehnsucht nach dem romantischen Ideal exklusiver Liebe in unseren existenziellen Fragen mit: „War Opa deine große Liebe?“
Leonie hat diese Sehnsucht. Ihr Dilemma – weder eine Abtreibung noch Marcos Kind wären eine Basis für eine Beziehung mit Andreas – führt zu einer fatalen Kettenreaktion. Mit ihrer Entscheidung, ihrem geliebten Andreas nicht immer wieder die Intimität mit Marco vor Augen führen zu können, gesteht Leonie sich ein, dass ihre romantische Liebesgeschichte keine Chance mehr hat. Doch ohne einen Vater, der zu Leonie steht und zu ihrem Kind, so wie es entstanden ist, hat auch dieses Kind keine Chance, das Licht der Welt zu erblicken. Die sogenannten „Altlasten“ sind wegen ihrer Gegenwärtigkeit des Pudels Kern in nahezu jedem Schwangerschaftskonflikt.
Die geheimnisvolle Anziehungskraft der Frauen
Der abservierte Andreas versteht die Welt nicht mehr und die Frauen noch weniger. Er ahnt nichts von den wahren Beweggründen Leonies. Wegen seiner Verlustängste – in einer kurzen Binnengeschichte skizziert Schober Andreas’ traurige Bindungsbiographie – wirft Leonies Rückzug Andreas in eine kindliche Gefühlslage des Verlassenwerdens zurück. Und so übersieht er Leonies Tränen. Doch sein Mentor bringt ihn wieder auf Kurs: „Was wünschen sich Frauen von uns? Dass wir bei den ersten Schwierigkeiten abziehen?“
Auch die Figur des Andreas hätte durchaus das Potential gehabt, das hinter der Abtreibungsfrage stehende zentrale Thema Sexualität aus einer männlichen Perspektive zu beleuchten. Dass ihm die Rolle des biblischen Josef zugedacht ist, der Frau und Kind ohne innere Vorbehalte als treusorgender Ehemann und Vater annimmt, war absehbar. Doch der für Patchwork-Familien immer wieder gern bemühte Vergleich hinkt.
Das Original aus der Bibel hatte bekannterweise eine besondere Unterredung, in der ihm die außergewöhnlichen Umstände erläutert wurden. Josefs Erben haben hingegen die Gewissheit, dass ihre Partnerin keine Jungfrau mehr ist. Dass sie einen anderen geliebt hat, und dass sie den anderen – nicht nur wegen des Kindes – nie ganz aufhören kann zu lieben. Im Kind wird die ewige Verbindung der „ein Fleisch“ gewordenen Menschen sichtbar. Wie geht Mann damit um? Wie romantisch kann eine zweite oder x-te Beziehung noch sein?
Andreas’ Anflug von Eifersucht, als er auf dem Weg zu Leonies Babyparty zufällig auf Marco trifft und still begreift, um wen es sich handelt, wirkt unrealistisch flach. Beide geraten sogar in eine freundliche Unterhaltung von Mann zu Mann über die geheimnisvolle Anziehungskraft, die Frauen auf Männer ausüben. Unversehens geben sie dabei aber einen Hinweis, warum sexuelle Exklusivität ohne Vorgeschichte seit (vor-) biblischen Zeiten für Männer von existenzieller Bedeutung ist.
„Der Mensch sehnt sich in erster Linie nach Liebe“
Auf die Frage, worin denn „in Wirklichkeit die Macht der Frauen“ bestehe, antwortet Andreas unter anderem: „Frauen haben etwas Königliches an sich. Vielleicht ist es ihre Art zu lieben.“ Ja, es ist ihre Art zu lieben. Die im Roman immer wieder angesprochenen Ebenen der Sexualität – die körperlich lustvolle und die geistig transzendente des sich in Liebe Hingebens – fallen in der weiblichen Sexualität stärker ineinander als in der männlichen.
Während der männlich gebende Part in vergleichsweise stärkerer Tendenz einem volatilen Trieb folgt, steht hinter dem weiblichen sich öffnenden und aufnehmenden Part eher eine selektierende Entscheidung – und zwar eine Herzensentscheidung.
Frauen sind die umworbenen. Sie entscheiden. Und haben sie sich entschieden, ist ihre Art zu lieben eine zärtliche personelle Zuwendung. Anthropologisch gesehen, ist es die weibliche Art zu lieben, die den Mann überwältigt, weil sie ihn an die sichere, emotional exklusive Bindung aus frühester Kindheit erinnert. Das ist der Grund, warum es ihn bei einer, bei seiner Frau hält.
Deshalb verlässt ein Mann Vater und Mutter, um mit seiner Frau zu leben. Die zwei sind dann eins, mit Leib und Seele“ (1. Mose 2,24).
Bei „seiner Frau“ wird der Mann nicht nur zum fürsorglichen Beschützer, sondern auch zum Kind, das ihre vollständige Liebe fordert. Wenn sich beide mit „Leib und Seele“ begegnen, wird die Konfrontation mit ihren Ex-Partnern, die auch geliebt werden, zu einer Enttäuschung für das Kind im Mann, die existenziell und dauerhaft ausfällt. Ausgerechnet die „weibliche Art zu lieben“, die liebevoll zärtliche Zuwendung seiner Frau, offenbart ihm, wie sie sich schon für andere entschieden und sich ihnen hingegeben hat. Die Ehe zwischen Andreas und Leonie wäre ebenfalls einen Roman wert.
„Wir wissen doch, dass der Mensch sich in erster Linie nach Liebe sehnt!“, durchschaut Andreas’ Mentor Leonies verzweifelten Abschied. – Auch Männer sehnen sich nach Liebe, nach romantischer Liebe.
Maria Schobers Debütroman „Leonie“ bietet dreierlei: Eine bis zur letzten Seite fesselnde Familiengeschichte, eine Würdigung aller, die das Leben schützen, und eine Steilvorlage, um über die menschliche Sexualität zu philosophieren.