Das erste Mal – Nur eine Erinnerung?

Sex sells, und der erste Sex erst recht, dachte sich die große Sonntagszeitung aus Frankfurt. Also raus aus der Mottenkiste und garniert mit ein paar Studien, wie „die Teenager von heute den ersten Sex erleben.“ Das Ergebnis: Pornos sind harmlos und das erste Mal ein kulturell aufgeladener Mythos. – Das wollen wir so nicht stehen lassen, denn menschliche Sexualität ist mehr als „Ohjaaa, Sex Baby!“ Ein Kommentar von Dr. Martin Voigt


Können Sie sich noch an Ihr erstes Mal erinnern? Falls ja, können Sie es getrost vergessen, denn es sei bloß ein romantisches Klischee ohne Bedeutung, ist in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu lesen. Pünktlich zum Start in den Wonnemonat widmete sich deren mehrseitiges Ressort Wissenschaft der Leidenschaft, und zwar mit dem Titel „Das erste Mal“.

Wer nun, wie der Autor dieser Zeilen, am 1. Mai mit Flugzeug und Bahn unterwegs war, konnte wiederholt beobachten, wo das FAS-Publikum beim Durchblättern hängen blieb – richtig: Beim ersten Mal! Für die ausführlich zitierte Sexualtherapeutin Julia Henchen ist das zu viel des Aufhebens, denn ihr ist klar: 

Der erste Geschlechtsverkehr sei kulturell sehr aufgeladen. Mit dem Verlust der Jungfräulichkeit gleichgesetzt, scheint es ein Moment zu sein, der den Körper nachhaltig verändert. Das stimme zwar nicht, sei in vielen Köpfen aber immer noch so fest verankert. 

Trauen Sie bloß nicht ihrem Gefühl, will uns die Autorin des Artikels, Stella Marie Hombach, mitteilen. Für die Kulturwissenschaftlerin sind die vielschichtigen Gefühle rund um das erste Mal nur sozial konstruiert. Hätte man genauso auch das zwölfte Mal oder das erste mal Händeschütteln kulturell aufladen können?

Die Widersprüche im Artikel sind offensichtlich und zahlreich. Es geht beim ersten Sex um mehr als um Kultur und Prägung – nämlich um eine der wesentlichen menschlichen Erfahrungen, die kultur- und epochenunabhängig sind. So wie das Gefühl für Familie eine menschliche Konstante, oder die Geburt des eigenen Kindes eine einschneidende Erfahrung ist, so ist auch der erste Geschlechtsverkehr eine Zäsur in der Persönlichkeitsentwicklung, die zwei Menschen für immer verbindet.

Koitus – eine dauerhafte Vereinigung  

Die Widersprüche des Artikels, der die Seite komplett füllt, beginnen schon beim Foto: Ein inniger, zärtlicher Kuss mit leicht geöffneten Lippen und geschlossenen Augen. Die Phantasie des Lesers oder vielmehr sein sexuelles Erinnerungsvermögen ergänzen den Bildausschnitt des Fotos. Ist Jungfräulichkeit nur ein Mythos, ein überholtes Relikt aus patriarchalischen Kulturen? Nein, mit Sicherheit nicht, denn das Gefühl war zuerst da, dann kam die Kultur.

Henchen, die Sexualtherapeutin, die Bücher verkauft mit Titeln, wie „Let’s talk about Sex, Baby!“ oder „Ohjaaa! Journal für Deine Lust“, ist offensichtlich nicht (mehr) in der Lage über die körperliche Dimension von Sexualität hinaus zu fühlen. Und demzufolge geht es im Artikel viel um das Jungfernhäutchen, das Hymnen, und ob es nun reißt beim ersten Mal, oder eben nicht, oder ob es überhaupt bei jedem Mädchen vorhanden ist – und um Gleitgel. Vermutlich war das irrelevant für die meisten jener Flug- und Zuggäste, die sich konzentriert auf Seite 53 festgelesen hatten.

Die FAS-Redaktion, die den Titel „Das erste Mal“ und den Teaser darunter selbst formuliert, hat es unfreiwillig auf den Punkt gebracht: Ein Leben lang bleibt es unvergessen, und kein Thema ist im Jugendalter aufregender (…)

… Und im Erwachsenenalter, hätte man mit Blick auf die Lektürewahl im Check-in-Bereich ergänzen können. Plötzlich ist sie wieder da, die Aufregung vor dem erste Mal, die Küsse, die Unsicherheit, die Erregung und das, was folgt. Was bleibt, ist nicht die körperliche Veränderung, da mögen die Kulturwissenschaftlerin und die Sexualtherapeutin recht haben, sondern was bleibt, ist der Koitus.

Der alte lateinische Begriff für Beischlaf bedeutet auch Vereinigung und Verschmelzung, und das beschreibt es ziemlich gut, was nach dem ersten Mal anders ist als davor. Ob nun geplant und bei romantischem Kerzenschein, in spontaner Verliebtheit oder mit vermeintlich ausgeklammerten Gefühlen, es passiert mehr, als die banalisierende Wendung „Sex haben“ nahelegt. Es vereinigen sich Körper und Seele von Mann und Frau auf eine Weise, die auch von einer noch so intensiven aber platonischen Freundschaft nicht erreicht wird. Und sie verschmelzen auf eine Weise, die von Dauer ist, selbst wenn beide sich für immer Adieu sagen. 

Menschliche Sexualität hat eine geistige Dimension 

Diese Gefühlslage ist dafür verantwortlich, dass auch Jahrzehnte später, während man gerade auf den Zug wartet, solch ein Titel mitten ins Schwarze trifft, denn „das erste Mal“ ist so randvoll mit Bedeutung, dass es für sich stehen kann. Diese Wirkung hatte es auch schon auf Teenager aus grauen, vorkulturellen Zeiten. Die Erfahrung „The first Cut is the deepest“ gab es Jahrtausende vor der katholischen Sexualmoral.

Kultur ist etwas, das das Wesentliche des Menschseins, also grundlegende Konstanten wie die Vater-Mutter-Kind-Familie oder Liebe und Sexualität in ein sich entwickelndes Normengefüge integriert, damit zum Beispiel vereinfacht gesagt die eigenen Kinder und Enkel die „The first Cut is deepest“-Erfahrung nicht selbst machen müssen, sondern in einer bestmöglichen Vater-Mutter-Beziehung ihre Kinder großziehen können.

Kultur ist letztlich Ergebnis und Ausdruck dessen, dass der Mensch und seine Art zu Lieben und sich die Welt zu erschließen mehr ist, als bloß eine biochemische Reaktion auf äußere Einflüsse. Auch die Entdeckung des Bindungs- und Treuehormons Oxytocin ist nicht der Schlusspunkt hinter der Frage, warum das erste Mal „ein Leben lang unvergessen bleibt.“ Neben der körperlichen und psychohormonellen gibt es beim Menschen, im Gegensatz zum ebenfalls oxytocingesteuerten Schimpansen, noch eine geistige Dimension. Erst das Zusammenspiel von Körper, Psyche und Geist macht den Beischlaf zur dauerhaften Verklebung.“

An beiden bleibt etwas vom anderen hängen. (…) Es bleibt etwas von meiner Person beim Ex-Partner und vom ihm bleibt etwas bei mir. Man sehnt sich trotz Trennung noch nach dem anderen oder nach dem, was man von sich selbst dort gelassen hat.“ So beschreibt es die Psychotherapeutin Tabea Freitag in ihrer Sexualpädagogik „Fit for Love?“. 

Sexuelle Exklusivität stabilisiert Familien

Mit jedem Beziehungsabbruch lasse die Klebekraft der sexuellen Intimität nach und man verliert sich immer mehr, fasst Freitag ihre Beobachtungen aus der psychotherapeutischen Praxis zusammen. Das erklärt, warum man sich für immer an seine „erste Liebe“, vielleicht noch an die zweite Liebe und an die „große Liebe“ erinnern kann, aber kaum noch an das Tinder-Date der vergangenen Woche. Die geistige Dimension stumpft von Affäre zu One-Night-Stand immer weiter ab und man verliert sich in Henchens Ohjaaa-Sex-Baby-Welt.

Kulturelle Normen und eine Sexualmoral sind nun der auf viel Wissen um die menschliche Dreidimensionalität von Körper, Psyche und Geist beruhende Gegenentwurf zur rein körperbasierten Lustvereinigung. Die Prämisse jeder Kultur ist folgende: Will man glückliche Kinder, braucht es glückliche Eltern. Genauer: Eltern, die eine glückliche Beziehung führen. Die Wahrscheinlichkeit für eine dauerhafte, glückliche Ehe korreliert indirekt proportional zur Anzahl der Geschlechtspartner vor der Ehe. Anders formuliert: Bleiben die beiden Teenager, die zusammen ihr erstes Mal erleben, ihr Leben lang zusammen, ist die Wahrscheinlichkeit maximal hoch, dass sie sich auch noch nach dem x-ten Mal ganz gut verstehen und glücklich miteinander sind. Sexuelle Exklusivität zwischen den Eltern ist kultur- und epochenübergreifend die beste Voraussetzung für glückliche Kinder. 

Eltern tolerieren das erste Mal ihrer Kinder“ 

Hombachs Artikel, um noch einmal auf diesen zurückzukommen, war bis auf das Foto und die Titelei recht unspektakulär, denn es ging, wie dieser Tage in großen Medien zu erwarten war, um die Banalasierung von Sexualität. Also etwa darum, ob Pornographie Jugendliche zu früh sexualisiere. Das sei angeblich nicht der Fall, was Hombach daran festmacht, dass das Alter der Jugendlichen bei ihrem ersten Mal im Vergleich zu Erhebungen von vor zehn Jahren nicht gesunken sei. Pornos seien also harmlos, lautet die implizite Botschaft. Eine Thema für sich, genauso wie die „sexuelle Revolutuion“, die ab den 1970ern einen „echten Umbruch“ beim Alter der ersten sexuellen Erfahrungen bewirkt habe, wie Hombach bemerkt.

Soweit so bekannt. Bemerkenswert sind hingegen die angeführten Studien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wie sich die Einstellung der Eltern zur Sexualität ihrer minderjährigen Kinder entwickelt hat. Im Jahr 1980 habe sich noch die Hälfte der Eltern prinzipiell gegen Geschlechtsverkehr vor dem 18. Lebensjahr ausgesprochen, 1994 seien es noch rund 25 Prozent und im Jahr 2001 nur noch fünfzehn Prozent gewesen. „Ihre ersten sexuellen Erfahrungen erleben heute viele junge Menschen zu Hause; die Eltern wissen davon, kennen den Partner oder die Partnerin und tolerieren Sex.“

Die Dekonstruktion von Kultur funktioniert also. Die Kinder der 68er sind nun selbst Eltern. Was ihnen nicht ans Herz gelegt wurde, können sie auch ihren Kindern nicht vermitteln. Aufklärungsgespräche kommen über das Verhütungsthema kaum hinaus. Frühe sexuelle Intimität und wechselnde Beziehungen gehören nun wie selbstverständlich zum „erwachsen Werden“ dazu. Jeder kennt die vieldeutigen Umschreibungen: „Erfahrungen machen“, „sich ausleben“, „sich ausprobieren“, „die Jugend genießen“, „sich die Hörner abstoßen“, „nicht die Katze im Sack kaufen“. Die Formulierung „seine erste Freundin“ beinhaltet bereits die elterliche Erwartung, dass es bei dieser nicht bleibt. 

Haben Eltern noch moralische Glaubwürdigkeit? 

Aber wie geht es den modernen Eltern wirklich, wenn ihre Tochter total verknallt ihren „ersten Freund“ mit nach Hause bringt? Gibt es da keinen Stich oder zumindest ein leises Gefühl, dass es um mehr geht, als um die richtige Verhütung und schöne und aufregende Erlebnisse? Sind die 85 Prozent der Sex-toleranten Eltern aufgrund eigener Brüche und Abstumpfungen emotional nicht mehr in der Lage, die Tragweite der Situation zu überblicken. Und falls doch, fehlt ihnen, den mehrfach Gescheiterten, die moralische Glaubwürdigkeit, um gegenüber ihren Kindern als „Spielverderber“ aufzutreten

.Für Henchen und Hombach verhindern solche moralisierenden Fragen den Ohjaaa-Sex-Baby-Spaß, denn bei körperlicher Intimität gehe es um „die Freiheit zu erspüren, was einem Menschen guttut, was ihn oder sie erregt, und zwar unabhängig von gesellschaftlichen Leitbildern, Rollenklischees oder etwa der Generation, der ein junger Mensch angehört.“ So gesehen sollten sich die Eltern einfach nur stolz zuzwinkern, wenn die beiden verknallten Fünfzehnjährigen nach dem Abendessen nach oben ins Kinderzimmer verschwinden. Egal wie das Leben so spielt, an ihr erstes Mal werden sie sich später gewiss erinnern können.  


Ein Wort zum Schluss von Demo Für Alle:  

Sie sind als Eltern der Meinung, dass Ihre Kinder auch gut erwachsen werden, ohne alles selbst „auszuprobieren“? Sie wünschen Ihren Kindern eine glückliche und tragfähige Liebesbeziehung? Sie suchen nach geeigneten Worten, um das Spannungsfeld von Liebe, Sexualität und Ehe kindgerecht darzustellen? 

Dann empfehlen wir Ihnen das Aufklärungsmaterial, das wir für Sie auf unserer Seite Elternaktion zusammengestellt haben: www.elternaktion.com

Sehr gerne beraten wir Sie auch in einem persönlichen Gespräch: www.elternaktion.com/kontakt/