Ein Buch voller unterhaltsamer Selbstzweifel einer 29-jährigen Frau, die sich, seit sie denken kann, im Abgleich mit anderen Frauen für unattraktiv hält. Das ist Sophie Passmanns „Pick me girls“. Das häufigste Wort: „Ich“. Passmann weidet sich auf über 200 Seiten förmlich in ihrer Nabelschau, weil sie weiß, dass Frauen jede ihrer Zeilen auf eine Weise verschlingen werden, mit der nur ein Leser ein Buch verschlingt, dem schonungslos ein Spiegel vorgehalten wird. Feministische Rezensenten reagieren verstört, doch „Pick me girls“ führte 2023 die Bestsellerlisten an, und zwar mit der These: Frauen wollen Männern gefallen und sie tun alles dafür. Von Dr. Martin Voigt.
Passmann hat eine Einsicht, die ihr als verunsicherter Teenager fehlte: Ihre schwierigen Gefühlslagen, ihr Hadern mit Schönheitsidealen und Rollenerwartungen, und ihr an männliche Aufmerksamkeit gekoppelter Selbstwert sind nicht ihr persönliches Schicksal, sondern unzähligen jungen Frauen geht es exakt genauso wie ihr. Die sozialen Medien sind ihr Beweis. Die Selbstdarstellungen ihrer Generation widerlegen so manche feministische Illusion. Passmann drückt das so aus: „Wenn in fünf Jahren der erste Soziologe TikTok runterlädt, wird er schnell merken, dass er und sein gesamtes Forschungsfeld von Teenagern mit Ringlicht obsolet gemacht wurden.“
Das titelgebende „Pick me“ basiert auf einem TikTok-Trend. Als „Pick me girl“ bezeichnen Mädchen andere Mädchen, die sich Jungen anbiedern, indem sie deren Interessen übernehmen. Sie hängen im Skatepark herum, aber nicht als hübsches Anhängsel der Skater, sondern sie haben ihr eigenes Board dabei und versuchen über die Kumpelnummer in die Welt der Jungen vorzustoßen. Sie fachsimpeln über die Abseitsregel und tunen ihren Audi in der Selbstschrauberwerkstatt, während sie die Bierflasche genauso lässig vom Deckel befreien wie die Herren der Schöpfung, die sie dulden unter der Voraussetzung, dass sie stets so wenig lästig sein mögen, wie sie sich derzeit noch präsentieren.
„Mittelmaß an Romantik und Zuneigung“
„Pick me girls können nur pick me girls sein, wenn sie in einer Welt von Männern leben, die ihre eigene Anerkennung und Zuneigung als Instrument nutzen, um die Frauen in ihrem Leben handelbar und angenehm zu halten“, erklärt Passmann. Pummelige Mädchen, wie sie eines war, seien prädestinierte Pick me girls. Aber auch der Typus Spielerfrau, der eigentlich nicht darum betteln müsste, ausgewählt zu werden, und generell „alle Frauen, die im Patriarchat groß werden“ seien irgendwann einmal pick me girls, „manchmal“ oder „als Ausnahme“ oder „nur bei einem Mann in ihrem Leben“. Anders als andere Frauen zu sein, sei die einzige Charaktereigenschaft des pick me girl. Andere Frauen würden dabei immer über weibliche Klischees definiert: „Oberflächlich, leicht hysterisch, unentspannt, essgestört, Spielverderberinnen, die ihre Partner von entspannten Abenden mit den Jungs weglockten, um sich bei ihnen darüber auszuheulen, dass sie drei Kilo zugenommen hatten.“
Der männliche Leser, dem eine gesonderte Einleitung gewidmet ist, gewinnt den Eindruck, dass es sich bei dem untersuchten Phänomen lediglich um eine an Geschlechterklischees aufgehängte Stutenbissigkeit handelt. Jedenfalls wurde pick me girl zum Begriff im feministischen Diskurs, der den Kern des Dilemmas jedoch nur umkreist: „Ich würde gern etwas über alle Männer schreiben, mit denen ich je geschlafen habe“, beginnt Passmann einen Gedanken, um sich zu beschweren, wie herabwürdigend die Männer oft waren, mit denen sie im Bett gelandet ist. Allenfalls ein „Mittelmaß an Romantik und Zuneigung“ sei ihr entgegengebracht worden.
Die Autorin ist ein Kind ihrer Zeit: Mädchen suchen die romantische Liebe, wollen auserwählt sein und Annahme spüren. Sie nehmen alle Schritte vorweg und suchen dort, wo eigentlich die Ehe vollzogen wird. Sie reihen One-Night-Stands aneinander und sind mehrfache Beziehungsrückläufer. „Jemanden daten“ ist ein Synonym für „Sex haben“ zum Zwecke der Beziehungsanbahnung.
Ex-Partner dauerhaft im Körpergedächtnis
„Ich glaube, man geht in dem Moment, in dem man sich voreinander auszieht, eine Art unausgesprochenen Vertrag darüber ein, dass man sich nicht gegenseitig lächerlich macht, sollte einer von beiden in naher oder entfernter Zukunft Bücher schreiben“, meint Passmann augenzwinkernd, doch es gelingt ihr unbeabsichtigt, etwas Bedeutsames einzufangen: Beim Sex entsteht etwas dauerhaft Bindendes. Dass die intimste Begegnung, die zwischen zwei Menschen möglich ist, ein Band knüpft, spiegelt sich nur unzureichend in Begriffen wie „Liebeskummer“ oder „Eifersucht“ wider. Weil Passmann ihre Expartner nicht einzeln vorführen will, „baut“ sie sich einen „Durchschnittstypen“, an dem sie sich abarbeitet: „Jahre, nachdem wir das letzte Mal miteinander geschlafen haben, laufe ich an ihm an einer Ampel in Hamburg vorbei. Ich tue so, als würde ich ihn nicht sehen, ehe er so tun kann, als würde er mich nicht sehen. Ich verbuche das als absoluten Erfolg in Sachen Selbstwert.“
Die durch Betten und Beziehungen mäanderte Autorin registriert nach vielen Jahren aus dem Augenwinkel eine bekannte Silhouette. Sie reagiert innerhalb des Bruchteils einer Sekunde. Denn sofort knüpft das Körpergedächtnis an die längst vergangene Intimität an, als wäre es erst gestern gewesen. Das tiefe, dauerhafte Abspeichern der sexuell intimen Begegnungen mit den Ex-Partnern ist für die so häufig beklagte Erosion der Romantik verantwortlich. Unfreiwillig beweisen solche Schilderungen, welchen Wert Enthaltsamkeit hat: Keine Ex-Partner dauerhaft im Körpergedächtnis mit sich herumzutragen. Sein Herz noch nicht verloren zu haben. Nicht vergleichen zu können. Nicht gebunden zu sein.
Wer hingegen seinen neuen Partner in die Reihe derjenigen stellen muss, die bereits nackt vor ihm standen, sollte sich nicht über ein Mittelmaß an Romantik beschweren. Passmann wollte das Buch schreiben, das sie selbst mit 14 Jahren gebraucht hätte. Das Dilemma der nach Romantik und Annahme lechzenden Beziehungsrückläufer wäre da ein spannendes Thema für die Generation der Influencer und Follower gewesen, doch Passmanns einzig greifbare Einsicht ist es, dass sie ihr Geld lieber in eine Therapie als in Schönheitseingriffe investiert hätte. Für den Anfang kein schlechter Tipp.
Dieser Beitrag erschien zuerst in einer gekürzten Version bei JUNGE FREIHEIT.