Zur Aufnahme von „Kinderrechten“ ins Grundgesetz sagt der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christian Hillgruber in seiner Stellungnahme von 2013, „eine personelle Beschränkung von Grundrechten nach anderen Kriterien ist dem Grundgesetz jedoch unbekannt. Damit sind bereits auf Basis geltenden Verfassungsrechts Kinder umfassend grundrechtsfähig“ (Seite 2).
Prof. Dr. Christian Hillgruber ist Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Direktor des dortigen Instituts für Kirchenrecht. Am 26. Juni 2013 veröffentlichte er anlässlich der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags zur Aufnahme von „Kinderrechten“ ins Grundgesetz eine juristische Stellungnahme, in der er die drei Gesetzesentwürfe von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen untersucht.
Diese bezeichnet er als „sämtlich bestenfalls überflüssig, schlimmstenfalls kontraproduktiv. Für einen effektiven Kinderschutz ist eine Grundgesetzänderung nicht erforderlich; vielmehr gilt es, die bestehenden Regelungen konsequent zur Anwendung zu bringen“ (Seite 8). Der Bonner Jurist legt auch dar, dass Kinder voll umfänglich durch das Grundgesetz geschützt werden und eine Aufnahme der „Kinderrechte“ nicht zum Grundgesetz passen (Seite 2):
Die Aufnahme expliziter Kinderrechte und damit eine Abstufung der Grundrechte anhand des Alters wäre daher ein Fremdkörper im System des Grundgesetzes und würde die Frage aufwerfen, ob nicht auch anderen (vermeintlich) besonders schutzbedürftigen Personengruppen eigenständige Rechtspositionen einzuräumen wären.
In Bezug auf den Entwurf der SPD stellt Hillgruber fest, dass die Aussage, der Vorrang der Elternverantwortung bliebe unberührt, in Zweifel zu ziehen sei, wenn zugleich der Staat als erste Instanz zur Verteidigung der Kindesinteressen genannt wird (Seite 3f):
Es geht also zumindest um eine Akzentverschiebung zugunsten des staatlichen Wächteramtes und zulasten des Elternrechts. Es ist danach denkbar, dass nicht wie derzeit erst bei ernsthafter Gefährdung des Kindeswohles, sondern bereits vorgelagert unter Berufung auf Schutz und Förderung der Kinderrechte eine staatliche Einflussnahme unter Zurückdrängung des Elternrechts erfolgen können soll.
Konkret: Müssten Eltern (mit oder ohne Migrationshintergrund), wenn sie ihre Kinder nicht alsbald nach der Geburt in staatliche Obhut geben und in einer Kindertagesstätte betreuen lassen, sondern, wie früher üblich, erst ab vollendetem dritten Lebensjahr in den Kindergarten gehen lassen wollen, wenn der Gesetzentwurf geltendes Verfassungsrecht würde, sich nunmehr vorhalten lassen, sie vernachlässigten die Bildung ihres Kindes? Dürfte der Staat fortan, um die Rechte des Kindes auf Entwicklung seiner Persönlichkeit und auf Schutz vor Vernachlässigung effektiv zu erfüllen, den Besuch einer Kindertagesstätte ab dem ersten oder zweiten Lebensjahr zur rechtlichen Pflicht der Eltern machen, auch wenn keine Kindeswohlgefährdung vorliegt?
Die gesamte Stellungnahme von Prof. Dr. Christian Hillgruber kann man hier lesen.
Die Große Koalition möchte bis Ende 2019 einen ersten Entwurf für die Aufnahme von „Kinderrechten“ ins Grundgesetz vorlegen. Dies ist nicht der erste Versuch. In den vergangenen Jahren haben zahlreiche renommierte Rechtswissenschaftler Stellungnahmen und Gutachten zu dieser Frage verfasst, die wir hier in unregelmäßigen Abständen erneut veröffentlichen und in die aktuelle Debatte einbringen möchten.