In seiner Stellungnahme für den Bundestag von 2013 hält der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Gregor Kirchhof fest: „Kinderrechte gegenüber den Eltern mit Verfassungsrang sind nicht in das Grundgesetz aufzunehmen.“
Prof. Dr. Gregor Kirchhof ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht an der Rheinischen Universität Augsburg und Direktor des dortigen Instituts für Wirtschafts- und Steuerrecht. Am 21. Juni 2013 veröffentlichte er anlässlich der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags zur Verankerung von „Kinderrechten“ im Grundgesetz eine juristische Stellungnahme. Wie seine juristischen Kollegen unter den Sachverständigen im Rechtsausschuss betont Kirchhof, dass alle Kinder grundrechtsberechtigt sind und durch das Grundgesetz geschützt werden, unabhängig ihres Alters. Die Einführung spezieller Grundrechte würden „eine elementare Erkenntnis des Grundrechtsschutzes untergraben“, nämlich die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) (Seite 2f).
Der Augsburger Jurist warnt außerdem vor einer „Verrechtlichung der Eltern-Kind-Beziehung“ durch eigene „Kinderrechte“ im Grundgesetz. Das grundgesetzlich gesicherte Elternrecht würde bereits dem Kind beziehungsweise dem Kindeswohl verpflichtet sein, weswegen der Staat wiederum Distanz zur Familie wahren muss (Seite 3f):
Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, „die Familie als geschlossenen eigenständigen Lebenskreis zu verstehen“, die „Einheit und Selbstverantwortlichkeit der Familie zu respektieren und zu fördern“ (BVerfGE 24, 119 [135]). Die staatliche Gemeinschaft muss sich zurückhalten, diese Zurückhaltung aber entschlossen aufgeben, wenn das durch Art. 6 Abs. 2 GG übertragene Wächteramt, wenn das Wohl des Kindes dies erfordert. Mit dem verfassungsrechtlichen Schwert der Justitia ist die Eltern-Kind-Beziehung in Ausnahmefällen – um des Kindeswohls willen – partiell zu ersetzen. Rechte des Kindes wird dieses Verfassungsschwert in der Familie aber nicht sachgerecht durchsetzen, vielmehr die familiäre Beziehung nachhaltig verletzen. Kinderrechte gegenüber den Eltern mit Verfassungsrang sind nicht in das Grundgesetz aufzunehmen.
In Übereinstimmung mit Urteilen des Bundesverfassungsgericht bestätigt Gregor Kirchhof den Vorrang der Elternverantwortung und stellt fest, dass es nicht Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft ist, „die Eltern-Kind-Beziehung, die familiäre Gemeinschaft, zu prägen“ (Seite 4). Andernfalls gefährde er das im Grundgesetz klug ausbalancierte Verhältnis zwischen Staat, Eltern und Kindern. Mehr noch, schenkt der Staat der Familie dieses Vertrauen nicht, dürfe er überhaupt keine freiheitliche Lebensgestaltung zulassen (Seite 5).
Das Verhältnis zwischen Eltern und Kind ist zum Wohle des Kindes in besonderer Weise geschützt. Das Dreieck ist spitzwinklig, weil Eltern und Kind in einem Näheverhältnis stehen, über das die öffentliche Hand – weiter entfernt – wacht. Das System würde verfälscht, wenn ein rechtwinkliges Dreieck entstünde – Eltern und Kinder würden in eine Distanz gebracht.
Die gesamte Stellungnahme von Prof. Dr. Gregor Kirchhof kann man hier lesen.
Die Große Koalition möchte bis Ende 2019 einen ersten Entwurf für die Aufnahme von „Kinderrechten“ ins Grundgesetz vorlegen. Dies ist nicht der erste Versuch. In den vergangenen Jahren haben zahlreiche renommierte Rechtswissenschaftler Stellungnahmen und Gutachten zu dieser Frage verfasst, die wir hier in unregelmäßigen Abständen erneut veröffentlichen und in die aktuelle Debatte einbringen möchten.