Braucht es noch ein Buch, das sich an der Gender-Sprache abarbeitet? Sämtliche Umfragen bestätigen doch, dass eine große Mehrheit das Gendern strikt ablehnt. Also hat sich das Thema erledigt? Nein, so lächerlich wie unbedeutend die Verhunzung unserer Muttersprache auch erscheinen mag, man sollte sie nicht als Spinnerei woker Eliten abtun, die von selbst wieder verschwinden wird. Das legt das druckfrisch im Deutschen Wissenschafts-Verlag erschienene Buch „Die durchgegenderte Gesellschaft: Hintergründe und Fakten zu einer Ideologie und ihrer Sprache“ nahe. Es betrachtet das Gendern als die im Alltag nervigen und deshalb auffallenden Ausläufer einer Ideologie, deren gesamtes zerstörerisches Potential jedoch vergleichsweise unbekannt ist.
Hinter der „geschlechtergerechten“ Sprache verberge sich „ein ganzes staatlich initiiertes, forciertes und finanziertes Gender-Universum“, das nichts weniger als ein neues Menschenbild in unsere Gesellschaft schleuse. So formuliert die Autorin Regine Scheffer ihre Sicht auf diese „scheinbar aus dem Nichts gekommene, unaussprechlich sperrige Kunstsprache mit absolutem Machtanspruch“. Ein Blick in Kapitel wie „Babys für alle“ oder „Trans* und die ICD-Klassifikation der WHO“ macht deutlich: Es geht um existenziellere und im wahrsten Sinne des Wortes einschneidendere Dinge als Punktabzüge für nicht „gegenderte“ schriftliche Uni-Arbeiten.
Was hat die Gender-Sprache mit jungen Menschen zu tun, die in den Trans-Kult geraten sind und den Tag ihrer operativen Geschlechtsanpassung herbeisehnen? Wie sollen denn Binnen-Is und Gendersterne mit amputierten Geschlechtsteilen zusammenhängen? Die Antwort gaben bereits weise Lehrer aus vorchristlichen Zeiten: „Das Wort ist mächtiger als das Schwert“ (Lehren von Ahiqar). Übertragen in die heutige Zeit bedeutet das: Der lächerliche Gender-Schluckauf der Tagesschausprecherin, die von „Bürger – Kunstpause – -innen“ spricht, hat mehr destruktive Macht als das Skalpell in der Hand des Chirurgen.
Gender-Ideologie und Gender-Sprache lassen sich nicht isoliert voneinander betrachten
Sprache beeinflusst das Denken und Handeln, weiß die moderne Sprachwissenschaft. Sie schaffe neue Wirklichkeiten, behaupten sogar die Anhänger der „gendersensiblen“ Ausdrucksweise. Und schon Wilhelm von Humboldt erkannte: „Der Mensch denkt, fühlt und lebt in der Sprache.“ Auf jeden Fall kann sie den Boden für gesellschaftliche Entwicklungen bereiten, die eigentlich undenkbar scheinen. Und die Gender-Sprache im Speziellen wurde ersonnen, den Rahmen des Denkbaren in Richtung einer totalitären Deutung von Geschlecht verschieben zu können.
Man glaubt es kaum, aber die Gendersprache hat schon eine relativ lange Karriere hinter sich. Ihr feministischer Nährboden reicht bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurück, als sich die gleichstellungspolitischen Forderungen der damaligen Frauenbewegung mit einem sich neu entwickelnden Verständnis von Geschlecht als sozialer Kategorie im Sinne der französischen Philosophin und Schriftstellerin Simone de Beauvoir verbanden. „Le deuxième sexe“, ihr zweibändiges Werk von 1949 (dt. „Das andere Geschlecht“, 1951) avancierte zu einem Standardwerk der feministischen Literatur. Ihr berühmter Satz „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ markiert den Anfang einer jahrzehntelangen, auf den Sexus fixierten Reise, die in den aktuellen Forderungen nach gesellschaftlicher Akzeptanz von Geschlechtervielfalt und der rechtlichen Gleichstellung „aller Geschlechter“ vorläufig ihren Höhepunkt erreicht hat.
Ohne die Hintergründe der Jahrzehnte zurückliegenden Anfänge der „geschlechtergerechten“ Sprache zu kennen, als plötzlich Doppelnennungen wie „Liebe Leserinnen und Leser“ zur Norm wurden, ließe sich jener rasante Prozess kaum nachvollziehen, der auch darin gipfelt, dass Schüler heute flächendeckend mit der „Sexualpädagogik der Vielfalt“ drangsaliert werden. So sollen Minderjährige im Schulunterricht zum Beispiel einen „Puff für alle“ kreieren, der den sexuellen Vorlieben diverser Gender-Identitäten gerecht wird.
Gender-Indoktrination dieser Art hatte Scheffer zunächst noch nicht im Blick. Sie ärgerte sich als Übersetzerin für Englisch und Französisch vor allem immer wieder über die „abenteuerlichen Ausdrucksformen“ zur verordneten Berücksichtigung von sexuellen Minderheiten. Es brannte ihr auf den Nägeln, dieser „indoktrinären Humorlosigkeit“ mit muttersprachlichem Witz und sprachwissenschaftlichen Fakten zu begegnen. Es wäre nun bei einer gewiss kurzweiligen aber ziemlich linguistischen Betrachtung zum generischen Maskulinum im Deutschen und zur grammatikalischen Ignoranz der Gender-Apologeten geblieben, wie es sie schon mehrfach gibt, wenn Scheffer nicht schon bald festgestellt hätte, dass sie eigentlich ein deutlich dickeres Brett bohren muss:
Zunächst sollte der Titel dieses Buches lauten „Die Sprache und ihre Henker im Land der Dichter und Denker“. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass dieser Titel dem behandelten Stoff nicht gerecht würde, denn es erweist sich, dass nicht nur unsere Sprache, sondern mit ihr unsere gesamte tradierte Gesellschaftsordnung unter die Guillotine gerät.
Da sich Gender-Ideologie und Gender-Sprache nicht isoliert voneinander betrachten lassen, liegt mit der „Durchgegenderten Gesellschaft“ nun ein einzigartiges Überblicks- und Nachschlagewerk zum politisch vorangetriebenen Gender Mainstreaming vor – ein nicht zufällig gewählter Begriff aus feministisch und akademisch geprägten elitären Zirkeln.
Unzählige staatlich finanzierte queere Projekte und LGBT-Vereine
Auf 245 Seiten fügt Scheffer zahlreiche Quellen und Belege zu einem Gesamtbild zusammen, das deutlich macht, wie strategisch ausgeklügelt und erfolgreich die Top-Down-Umsetzung des politischen Gender Mainstreaming inzwischen unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben verändert hat. Der neue Begriff, unter dem sich viele nichts vorstellen können, und auch nichts Konkretes vorstellen sollen, müsse mit „die normative Verankerung einer Geschlechterperspektive in der Gesellschaft“ übersetzt werden, schreibt Scheffer und ergänzt, „mit dem Ziel, dass die meisten Menschen mit dieser Sichtweise dann übereinstimmen“.
Die Publizistin für familien-, bildungs- und gesellschaftspolitische Themen führt als Beleg für die sukzessive Verschiebung ins Totalitäre groteske Machtdemonstrationen wie das Selbstbestimmungsgesetz oder die selbstherrliche Meldestelle Antifeminismus der Amadeu Antonio Stiftung an. Und sie nimmt den Leser mit in kaum bekanntes Terrain, und blickt zum Beispiel hinter die Kulissen der Kaderschmieden, Stiftungen und geistigen Zentren der Gender-Ideologie. Die jeweils in die Tiefe recherchierten Kapitel zum Beispiel über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die Humboldt-Universität zu Berlin oder in das Institut für Sexualpädagogik können dennoch nur eine grobe Vorstellung von den personellen und strukturellen Verstrickungen liefern. Es sei kaum möglich, „ein auch nur annähernd wirklichkeitsgetreues Bild davon zu zeichnen, wie weit sich die auf Geschlecht und Sexualität reduzierte Gender-Weltsicht bereits überall eingeschlichen hat und unaufhörlich weitere Kreise zieht“, bemerkt Scheffer zum Siegeszug dieser eigentlich noch jungen Ideologie. Unzählige staatlich finanzierte queere Projekte und LGBT-Vereine zeugen von dieser Selbstermächtigung.
Exemplarisch listet Scheffer im Anhang eine „kleine Auswahl“ solcher staatlich geförderter „LSBTIQ*-Vereine und deren Netzwerke“ aus dem Bundesland Sachsen auf. So erhalten zum Beispiel die „Erstellung und Herausgabe des Magazins ‚Queer in Ostsachsen‘“, die „Schule der Vielfalt. Workshops für Schülerinnen und Schüler zur Sensibilisierung für queere Lebenswirklichkeiten“, die „Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Christopher Street Day Dresden“ oder etwa die zahllosen Projekte zur „Förderung von ,queeren Geflüchteten’“ vier- bis sechsstellige Summen oft im jährlichen Turnus. Tendenziell steigt die Fördersumme von Jahr zu Jahr.
Lässt sich der Prozess stoppen und umkehren, oder nur noch die Richtung ändern?
Wie viel Geld fließt aus Ländern und Bund direkt und indirekt in die Gender-Ideologie? Wo ein Überblick über die Geldströme kaum mehr möglich ist, lässt sich die Infiltrierung dieser destruktiven Agenda in sämtliche soziale Bereiche erst recht nicht mehr erfassen. Zu den Anfängen und den undemokratischen Zielsetzungen des Gender Mainstreaming finden sich hingegen punktuelle und aufschlussreiche Belege. In einer Publikation der BZgA heißt es etwa: „Vor allem aber eröffnet die Strategie Gender Mainstreaming einen leeren Raum für neue inhaltlich-konzeptionelle Möglichkeiten, für die Suche nach Ansatzpunkten, mit denen die Geschlechtergrenzen in Bewegung geraten“.
Die Grenzen sind nicht nur in Bewegung geraten, sie wurden gesprengt. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sind das neue Leitbild des gesellschaftlichen Wertekanons. Dieser „hermetisch abgeschlossenen Weltanschauung“ mit „quasi-religiösem Charakter“ sei es gelungen, alle wichtigen Schaltstellen im öffentlichen Raum zu besetzen und unter Kontrolle zu bringen und somit das Menschenbild nach belieben zu verändern:
Von einer annähernd homogenen Gesellschaft, in der die traditionelle Familie noch in weiten Teilen als Kern und stabilisierendes Element des Gemeinwesens galt, hin zu einem in seinem Inneren aufgesplitterten Konglomerat aus unverbunden nebeneinanderher existierenden, amorphen, entgrenzten Lebensformen. Dermaßen identitäts-, bindungs- und abstammungslose Wesen, die sich jederzeit und nach eigenem Gusto geschlechtlich neu formieren, bilden die perfekte Verfügungsmasse für all jene, die ihre unterschiedlichen Interessen in einer globalisierten Welt durchzusetzen bestrebt sind.
Den Anfängen zu wehren, dazu sei es bereits zu spät, konstatiert Scheffer. „Aber vielleicht lässt sich noch die Richtung ändern.“ Wer weiß, vielleicht beginnt irgendwann einmal ein Uni-Direktor seine Rede wieder mit „Liebe Studenten“.