Kentlers Erben – Eine Einführung

Ein Kinderschänder denkt sich eine Sexualpädagogik aus, die flächendeckend in Kitas und Schulen zum Einsatz kommt. Die Geschichte von Helmut Kentler müsste eigentlich die Mutter aller Pädophilie-Skandale sein. Es handelt sich, wie von DemoFürAlle immer wieder betont, um eine Geschichte mit zwei Kapiteln: Zum einen die „Kentler-Experimente“ – Kentler als zentraler Akteur in einem pädophilen Missbrauchsnetzwerk. Zum anderen Kentler als Sexualreformer – die Erfindung und Etablierung der „emanzipatorischen Sexualpädagogik“.

Nur mit einem Kapitel dieser Geschichte, mit den „Kentler-Experimenten“, beschäftigen sich die Medien, und das auch nur zögerlich. Das Missbrauchsnetzwerk, das der einst gefeierte Sexualreformer und Pädophilen-Aktivist aufgebaut hatte, konnte nur funktionieren, weil Kentler Unterstützung durch zahlreicher Helfer und Mitwisser hatte. Der Hildesheimer Forschungsbericht, der die Hintergründe des Kentler-Netzwerks aufarbeitet, musste viele Namen schwärzen. Zu weit verzweigt in heute noch bestehende Machtstrukturen ist das Helfernetzwerk des 2008 verstorbenen Pädagogik-Professors Helmut Kentler.

Das zweite Kapitel der Kentler-Geschichte, die aus pädophilen Phantasien erschaffene „emanzipatorischen Sexualpädagogik“ und ihre erfolgreiche Verbreitung, sparen die meisten Medien fast komplett aus. Auch hier ist klar: Kentler alleine hätte das nicht geschafft. Nur mächtige Unterstützer und permanente Wiederholung konnten die pädophilen Visionen vom Kind als Sexualwesen, dessen sexuelle Lebensenergie durch Erwachsene gezielt stimuliert werden müsse, in den pädagogischen Diskursen so verankern, dass sie heute als „wissenschaftlicher Standard“ gelten – legitimiert durch BZgA und WHO.

Kentlers emanzipatorische Sexualpädagogik prägt bis heute sexualpädagogische Praxisarbeit

Spätestens seit Kentler als aktiver Missbrauchstäter entlarvt ist, und auch schon zuvor, seit die pädophilen Absichten und Netzwerke hinter den „Kentler-Experimenten“ nicht mehr aus den Medien herauszuhalten waren, versuchten Kentlers sexualpädagogische Erben, seinen Einfluss auf die moderne Sexualpädagogik herunterzuspielen und zu relativieren. Die Sexualpädagogik hätte heterogene Einflüsse, heißt es in einer Stellungnahme der Gesellschaft für Sexualpädagogik (gsp). Ein paar Jahre zuvor, redeten Kentlers Erben noch ganz anders:

Die von Helmut Kentler begründete emanzipatorische Sexualpädagogik stellt heute in weiten Teilen die Grundlage der sexualpädagogischen Praxisarbeit dar und auch die sexualpädagogischen Institutionen beziehen sich darauf. (Elisabeth Tuider 1)

Wenn die (neo)emanzipatorische Sexualpädagogik heute die deutschsprachige sexualitätsbezogene Begleitung von Kindern und Jugendlichen vor allem prägt (…) dann ist das nicht unwesentlich Helmut Kentler und Uwe Sielert zu verdanken. (Frank Herrath 2)

Und die Autoren der „Sexualpädagogik der Vielfalt“, Elisabeth Tuider, Mario Müller, Stefan Timmermanns schreiben in ihrem Vorwort:

Auch wir haben unsere Wurzeln in der neo-emanzipatorischen Sexualpädagogik in der Tradition Helmut Kentlers, Fritz Kochs und Uwe Sielerts und fühlen uns ihrem Ziel, Menschen jeden Alters zu einem selbstbestimmten und verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität zu befähigen, verpflichtet.

Will man die Erfolgsgeschichte der neo-emanzipatorischen Sexualpädagogik verstehen, also den pädagogischen Usus, dass schon ganz kleine Kinder zu einer „selbstbestimmten Sexualität befähigt“ werden sollen, dann gesellt sich zu Helmut Kentler eine weitere Figur – der Kieler Pädagoge Uwe Sielert.

Sielert wurde zur Schnittstelle zwischen Kentlers sexualpädagoischen Visionen und politischen Geldgebern und Wegbereitern. Der inzwischen emeritierte Pädagogikprofessor hat mit dem 1988 von ihm gegründeten Institut für Sexualpädagogik (isp) und seiner Vorstandsposition in der gsp ein sexualpädagogisches Universum aufgebaut.

War Sielert der einzige Strippenzieher?

Als Netzwerker, Lobbyist, Ausbilder und Multiplikator transformierte Sielert Kentlers Agenda, die Sexualisierung von Kindern, in sein Konzept einer „sexuellen Bildung“. Im selbstreferenziellen System seines isp-Universums entwickelte Sielert mittels zahlreicher Publikationen, Lehrgänge und Tagungen sowie einer Angliederung an den Universitätsbetrieb einen sexualpädagogischen Standard. Sielerts „sexuelle Bildung“ ist heute in sämtlichen Bildungs- und Lehrplänen verankert.

Kentlers primäres Ziel, die sexuelle Erregung von Kindern, gerade auch im Sexualkundeunterricht, ergänzte Sielert um die moderne neo-emanzipatorische Absicht, die heteronormativen Einstellungen und Menschenbilder der Kinder aufzubrechen. Um die enge Verbindung beider Akteure und ihre gemeinsame Zielsetzung zu verdeutlichen, spricht DemoFürAlle von der Kentler-Sielert-Schule.

Ein Kollege Sielerts, Frank Herrath, ging noch weiter und bezeichnete in der Festschrift „Vielfalt wagen“ (2009) Helmut Kentler als „väterlichen Freund von Uwe Sielert“. Wie auf Wikipedia nachzulesen ist, betont Sielert heute, er sei mit Kentler nicht persönlich befreundet gewesen und er habe lediglich die für Kentler wichtige „emanzipative Sexualpädagogik aufgenommen und weitergeführt“. Kentlers Haltung zur Pädophilie sei ihm damals nicht bekannt gewesen.

Ob Sielert nicht wissen konnte, wie stolz Kentler zeitlebens darauf gewesen war, als gerichtlicher Gutachter für pädophile Straftäter stets Freisprüche erwirkt zu haben, sei dahingestellt. Heute steht auf der Homepage des isp jedenfalls immer noch mit Bezug auf Kentler: „Den Grundideen emanzipatorischer Sexualpädagogik verpflichtet, setzen wir uns seit Institutsgründung für die Wahrung der sexuellen und reproduktiven Rechte aller Menschen ein.“

Seit über zehn Jahren zeichnet DemoFürAlle in zahlreichen Publikationen den Weg nach, wie es dem Meisterschüler Kentlers gelungen ist, die pädophilen Visionen seines Lehrmeisters in der neo-emanzipatorischen Sexualpädagogik zu institutionalisieren und zu monopolisieren. Die beiden DemoFürAlle-Broschüren „Sexualpädagogik in Schule und Kita“ sowie „KentlerGate und dessen folgen“ seien hier stellvertretend genannt. Sie skizzieren die Genese der neo-emanzipatorischen Sexualpädagogik und die politischen Verstrickungen im isp-Universum. Wo das historische Bild unscharf bleibt, zeugen vor allem die inhaltlichen Gegenüberstellungen von Kentlers und Sielerts publizistischem Wirken von der ideologischen Nähe und Verbundenheit beider Pädagogen.

Siegeszug einer Sexualpädagogik ohne „widerspruchsfreie wissenschaftliche Basis“

Was genau ist geschehen in den vielen Jahrzehnten seit Kentler erste Thesen seiner Sexualpädagogik formulierte? Zog allein Sielert die Fäden? Wer ist dafür verantwortlich, dass 2011 in den BZgA/WHO-„Standards für die Sexualaufklärung in Europa“ als Bildungsziele für Null- bis Vierjährige „Doktorspiele“, „frühkindliche Masturbation“ und „sexuelle Gefühle (Nähe, Lust, Erregung)“ formuliert wurden? (Eine Recherche aus Frankreich liefert hier erste Ergebnisse.) Was lief all die Jahre hinter den politischen Kulissen ab? Welche Geldgeber und Netzwerke wirkten im Hintergrund? Und zusammengefasst: Wie konnte die emanzipatorische Sexualpädagogik von Helmut Kentler zur Standard-Sexualpädagogik in deutschen Sprachraum werden?

Fragen über Fragen, die auch die Erziehungswissenschaftlerin Karla Etschenberg umtreiben, die Sielert und sein Umfeld über Jahre hinweg kennengelernt hat. In ihrem Beitrag „Wer ist zuständig (geworden) für die Sexualpädagogik/Sexualerziehung?“ nennt sie entscheidende Wegmarken. Und sie betont: Dass sich ausgerechnet diese eine Sichtweise auf Sexualität und Pädagogik im Laufe eines halben Jahrhunderts als die allgemeingültige Sexualpädagogik etablieren konnte, sei eine langfristige Strategie Sielerts gewesen. Nämlich, so führt Etscheberg aus, „die Sexualerziehung der Obhut und Kontrolle durch die Bildungsminister der Bundesländer und letztendlich der Kultusministerkonferenz“ zu entziehen und „sie einer anderen Erfolg sichernden Aufsicht und Förderung“ zu unterstellen. Der BZgA kam eine Schlüsselrolle zu.

Der Startschuss sei 1992 gewesen, als die BZgA per Gesetz einen folgenschweren Auftrag erhalten habe. Es handelt sich um das „Gesetz über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung“, das sogenannte „Schwangeren- und Familienhilfegesetz“ (SFHG).

Zu jener Zeit sei Uwe Sielert der hierzulande führende Sexualpädagoge im Bereich der „sexuellen Bildung“ gewesen, bemerkt Etschenberg. Sielert arbeitete von 1989 bis 1992 in der BZgA, und er habe das neue Gesetz gelobt, wie Etschenberg mit einem Zitat Sielerts belegt: „Mit dem Jahr 1992 schreibt erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik ein Bundesgesetz Sexualpädagogik fest.“ Doch im Gesetz (SFHG) komme der Begriff „Sexualpädagogik“ nicht vor, merkt Etschenberg an, und so kann sie schon zu Beginn ihres Beitrags folgendes Fazit ziehen:

Damit war der Weg gebahnt bzw. nachträglich legitimiert für sexualpädagogische Initiativen vom Säuglingsalter an, obgleich es dazu keinen öffentlich bekannten Auftrag gab, kein plausibler Zusammenhang zu den gesetzlichen Aufträgen von 1992 zu sehen ist und es auch bis heute keine widerspruchsfreie wissenschaftliche Basis gibt.

Geschickt nutzte Sielert gesellschaftliche Stimmungen, um die Kentlert-Sielert-Schule voranzubringen und weiter für professionelle und gut finanzierte Strukturen zu sorgen. Die AIDS-Panik in den 80er Jahren, die Missbrauchsskandale in der Odenwaldschule und in der katholischen Kirche, oder die heute aktuelle Debatte zur Missbrauchsprävention in Kitas sind solche Ereignisse, die ihm in die Hände spielten. Zum Beispiel kam Sielert 2010 in die „Arbeitsgruppe Prävention sexueller Missbrauch“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Das Ergebnis: Das BMBF finanzierte 2012 fünf Juniorprofessuren für Sexualpädagogik, die alle mit jungen Pädagogen aus dem engsten isp-Kader besetzt wurden. Die entwickelte Missbrauchsprävention auf der Grundlage von Sielerts „sexueller Bildung“ atmete den pädophilen Geist Helmut Kentlers. Und nach dem selben Muster übernahm das isp jüngst das Präventionsthema in den Kitas.

„Was Eltern und Erzieherinnen als wissenschaftliches Schutzkonzept verkauft wird, zielt auf die Desensibilisierung des natürlichen Schamgefühls ab und kann als pädagogische Vorarbeit für sexuellen Missbrauch gewertet werden“, heißt es anlässlich der Kita-Skandale in der FAZ.

„Kentlers Erben“ – Wer geht ein und aus im isp und der Akademie Waldschlösschen?

Die jahrelange Recherche von DemoFürAlle und auch die kritische Perspektive von Etschenberg können die Geschichte vom Siegeszug der emanzipatorischen Sexualpädagogik nur in groben Zügen erzählen. Um die institutionellen und personellen Verflechtungen im isp-Universum, oder um die politischen Machtstrukturen, die Sielert den Weg bereiteten, im einzelnen verstehen und nachvollziehen zu können, bräuchte es eine vergleichbare historisch-wissenschaftliche Aufarbeitung, wie sie das Forschungskollektiv aus Hildesheim für Kentlers Pädo-Netzwerk vorgelegt hat.

Bei aller Bemühung um die Aufschlüsselung historischer Details sollten auch die direkten inhaltlichen Einflüsse Kentlers auf die heutige sexualpädagogische Konzeption und Praxis von gesondertem Interesse sein. Ohne unzählige Akteure, die die Kentler-Sielert-Schule ideologisch unterstützen, weiterentwickeln und in die Kitas und Schulen bringen, nützte Sielerts jahrzehntelanges Wirken recht wenig. Wer sind die Sexualpädagogen, die im isp, im Sexualpädagogischen Zentrum Merseburg („Implementierung emanzipatorischer Konzepte sexueller Bildung in Studium und Lehre“) oder in der Akademie Waldschlösschen ein und aus gehen? Und vor allem, was schreiben sie – wie viel Kentler steckt in ihren Publikationen?

Diese Fragen gilt es in den folgenden Artikeln zu beantworten, denn gerade auf der inhaltlichen Ebene wird ersichtlich, wie sehr zahlreiche Sexualpädagogen das Erbe Kentlers am Leben halten. In der Artikelserie „Kentlers Erben“ wird DemoFürAlle wichtige akademische Weggefährten Kentlers und Sielerts sowie ihre sexualpädagogischen Thesen näher vorstellen. So viel sei jetzt schon gesagt: Es ist erschreckend, wie zielstrebig die ideellen Unterstützer des Kinderschänders Helmut Kentler seine emanzipatorische Sexualpädagogik heute noch weiter verbreiten.

——————————-

1 Tuider, Elisabeth: Input: Vielfalt als Alternative zu schwul-lesbischer Aufklärungsarbeit. Vortrag auf der Jubiläumsfachtagung – 10Jahre SchLAu NRW am 04.09.2010. S. 27-44. Zitat, S. 33

2 Frank Herrath: Freundliche Begleitung. Wie man ein Pädagogikfeld bestellt. In: Renate-Berenike Schmidt/Elisabeth Tuider/Stefan Timmermanns (Hrsg.): Vielfalt wagen. Berlin 2009, S. 1-10.

Hinweis: Das Titelbild dieses Beitrags wurde mithilfe künstlicher Intelligenz generiert und stellt keine reale Szene dar.