Das zähe Ringen um die „Kinderrechte“ geht in die nächste Runde: Die Anhörung im Bundestag bestätigt unsere Kritik und verdeutlichte die Uneinigkeit zwischen den Fraktionen, brachte aber auch zwei positive Überraschungen zum Vorschein.
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Am Montag, den 17. Mai, fand eine öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz statt, in der Sachverständige die vorliegenden „Kinderrechte“-Gesetzentwürfe diskutieren sollten. Die deutlichsten Worte fand Prof. Dr. Friederike Wapler (Universität Mainz), die von der FDP eingeladen wurde: Sie kritisiert den Gesetzentwurf der Bundesregierung dafür, dass er „das bewährte verfassungsrechtliche Verhältnis von Eltern, Kindern und Staat zwar vordergründig zu bewahren scheint, es in der Sache aber stärker gefährdet als jede der alternativ vorgeschlagenen Formulierungen.“ (S. 11)
Klare Worte: Grundgesetzänderung sollte gestrichen werden
Neben dieser Gefahr für das Elternrecht erläutert Wapler ausführlich, warum „Kinderrechte“ im Grundgesetz ohnehin nicht nötig sind, weswegen sie den richtigen Vorschlag einbringt, auf die Grundgesetzänderung vollständig zu verzichten:
„Es bleibt daran zu erinnern, dass eine Verfassungsänderung zur Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen nicht notwendig ist, weil das Grundgesetz keine Schutzlücken enthält. Es gibt daher keinen Grund, sich auf schlechte Kompromisse zu verständigen. Den vier Regelungsentwürfen liegen in einigen Bereichen fundamental unterschiedliche Verständnisse der Grund- und Menschenrechte von Kindern zugrunde, die kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. In einer solchen Situation auf eine Verfassungsänderung zu verzichten, um das Grundgesetz nicht mit widersprüchlichen Botschaften zu belasten, kann durchaus auch eine Lösung sein.“ (S. 11)
Selbst „Kinderrechte“-Befürworter warnen vor Gefahr für Elternrecht
Waplers Absage an die Grundgesetzänderung wird, wie zu erwarten war, nicht von allen Sachverständigen geteilt. Umso erstaunlicher ist es, dass sogar die „Kinderrechte“-Befürworter Dr. Philipp Donath (Universität Frankfurt am Main) und Thomas Krüger (Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks) die Gefahr benennen, die vom Regierungsentwurf für das Elternrecht ausgeht. Der von der SPD eingeladene Krüger schreibt:
„Die Bundesregierung schafft durch die Entscheidung für eine systematisch sehr zweifelhafte Lösung die Gefahr, dass Kinderrechte fälschlicherweise als Einschränkung von Elternrechten verstanden werden, und versucht diese selbst geschaffene Gefahr wiederum durch die Nutzung des verfassungsrechtlich bislang unerschlossenen Begriffs der „Erstverantwortung“ aufzulösen. (…) Das Verhältnis zwischen Kindern, Eltern und Staat ist bereits austariert und im Grundgesetz vollumfänglich geregelt. Es bedarf keiner Verfassungsänderungen, die dieses Verhältnis antasten, um explizite und tatsächlich gehaltvolle materielle Kinderrechte zu normieren.“ (S. 9)
Bei dem Frankfurter Juristen Donath, der für Die Linke erschien, heißt es:
„Der Vorschlag der Bundesregierung bringt daher rechtssystematisch Kinderrechte gegen Elternrechte in Stellung, indem er das Kindergrundrecht exakt in das Wächteramt des Staates (Art. 6 Abs. 2 S. 2 und Art. 6 Abs. 3 GG) integriert und damit die Konkretisierung einer staatlichen Eingriffsbefugnis durch das Kindergrundrecht nahelegt. Die Folge wäre, dass ein problematischer Konflikt erzeugt würde. Denn ausdrückliche Kinderrechte dienen dann rechtssystematisch nur zur Konkretisierung der Möglichkeit der Einschränkung der Elternrechte.“ (S. 5)
Überflüssige Formulierungen
Die Kritik des Juristen Becker (Universität Kiel), der von der Union eingeladen wurde, fällt in seiner aktuellen Stellungnahmen zwar nicht so deutlich aus wie in der Vergangenheit. Jedoch betont Becker mehrfach, wie vage einige Formulierungen des Regierungsentwurfs sind und dass sie oft nur bereits im Grundgesetz verankerte Rechte wiederholen. Zum Beispiel kommentiert Becker Satz 5 des Entwurfs folgendermaßen:
„Die Formulierung ist ähnlich unbestimmt (wer hat den Anspruch in welchen Situationen zu wahren?) wie die Verpflichtung auf die angemessene Berücksichtigung des Kindeswohls in Art. 6 Abs. 2 Satz 4 RegE-GG. (…) Damit betont die Formulierung lediglich die Bindung an das geltende Recht, soweit es kinderspezifische Ansprüche auf rechtliches Gehör enthält. Sie ist damit auch eigentlich überflüssig.“ (S. 10)
Becker schließt mit der Bemerkung, sofern die aktuellen Gesetzentwürfe „aber zumindest in Teilen lediglich dazu dienen, bestehende Rechte „sichtbar“ zu machen, ist vor der Auslösung nicht-intendierter Konsequenzen für die Interpretation des neuen Kindergrundrechts zu warnen.“ (S. 13)
Ein Verfassungswandel droht
Der Richter Seegmüller (Verfassungsgerichtshof Berlin), ebenfalls Sachverständiger für die Union, benennt ausdrücklich die Gefahr, dass durch die Aufnahme von „Kinderrechten“ ins Grundgesetz das Elternrecht anders interpretiert werden könnte und zwar zu Lasten der Eltern:
„Der Regierungsentwurf ist darum bemüht, lediglich die bisherige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung betreffend Kinderrechte zu kodifizieren; sichtbar zu machen. Größere inhaltliche Änderungen strebt er seiner Begründung nach nicht an. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die gewählten Formulierungen Ausgangspunkt für einen zukünftigen Verfassungswandel durch Verfassungsinterpretation sein können, der auch das Verhältnis von Elternrecht und staatlichem Wächteramt aus seiner derzeitigen Balance bringt.“ (S. 8)
Die Kritik dieser Juristen am Entwurf der Bundesregierung spricht eine deutliche Sprache. Die öffentliche Anhörung im Bundestag hat die Rechtsgutachten der letzten Legislaturperioden eindeutig bestätigt: „Kinderrechte“ sind eine große Gefahr für das Elternrecht und sollten daher in keiner Form in das Grundgesetz aufgenommen werden.