Heinz-Jürgen Voß, Jahrgang 1979, hat seit 2014 an der Hochschule Merseburg die Professur für Sexualwissenschaft und sexuelle Bildung inne. Seine Schwerpunkte sind unter anderem die Förderung geschlechtlicher und sexueller Selbstbestimmung sowie geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Zudem gilt Voß’ wissenschaftliches wie auch privates Interesse der queeren Subkultur. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DgfS), der Gesellschaft für Sexualwissenschaft (GSW) und der von Uwe Sielert mitgegründeten Gesellschaft für Sexualpädagogik (GSP).
In seinem „Basisbuch für Studium und Weiterbildung“ mit dem Titel „Einführung in die Sexualpädagogik und Sexuelle Bildung“ grenzt sich Voß von Kentlers Legitimation sexueller Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern klar ab. Jedoch unterstützt er die auf Kentler zurückgehende Forderung, dass „sexuelle Bildung“ bereits im Säuglingsalter beginnen müsse. Auch begrüßt Voß die Entwicklung, dass in sämtlichen Bildungsplänen der „Vielfalt sexueller Orientierung Rechnung“ getragen wird. Voß ist einer der jüngsten Erben Kentlers, der sich der Ideologie der „sexuellen Bildung“ verschrieben hat.
Promotion bei „Pädophilie-Verfechter“ Rüdiger Lautmann
Voß’ Promotion „Geschlechterdekonstruktion aus biologisch-medizinischer Perspektive“ (2010) wurde durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert und von Rüdiger Lautmann als Erstgutachter betreut. Lautmann ist Autor des Buches „Die Lust am Kind – Portrait des Pädophilen“, das wegen Pädophilie verharmlosender Passagen massiv in die Kritik geraten ist. Zudem gilt Lautmann als Bindeglied zwischen Organisationen homosexueller Männer („Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche“ und „Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft“) und den in diesen Schwulen-Netzwerken ebenfalls angesiedelten pädophilen „Arbeitsgruppen“. In diesen Netzwerken war auch Kentler zeitlebens ein zentraler Akteur.
In wie weit der damalige Promotionsstudent Voß über Lautmann in diese Netzwerke Einblick hatte, ist nicht bekannt. In der Regel ist das Betreuungsverhältnis zwischen Promotionsstudent und Doktorvater jedoch intensiver als im normalen Lehrbetrieb zwischen Studenten und Professoren. Voß selbst schreibt in einer Abhandlung, in der er die Kritik an Lautmanns „Die Lust am Kind“ relativiert, dass sein Doktorvater seinen Lebenslauf geprägt habe. Somit ist es vermutlich kein Zufall, dass Voß direkt im Anschluss an seine Promotion eine entscheidende Schlüsselposition im sexualpädagogischen Universum von Uwe Sielert einnahm, dem Meisterschüler Kentlers:
Juniorprofessur in Merseburg dank Uwe Sielert
Im Jahr 2010 richtete das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine Förderlinie zum Thema „Sexualisierte Gewalt in pädagogischen Kontexten“ ein, deren dritte Förderrunde bis ins Jahr 2024 reicht. Vorsitzender des Fachbeirats der BMBF-Förderlinie war Sielert. Der Kieler Pädagogikprofessor setzte sich dafür ein, dass im Rahmen des Projekts fünf Juniorprofessuren an deutschen Hochschulen eingerichtet wurden. Sielerts Einfluss dürfte auch bei der Besetzung der Professuren eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Eine der fünf Juniorprofessuren erhielt Voß. Seine Professur für „Sexualwissenschaft und sexuelle Bildung“ an der Hochschule Merseburg war die erste Juniorprofessur an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften. Sechs Jahre später wurde die Stelle in eine ordentliche Professur umgewandelt.
Abgrenzung von Kentler und Relativierung von dessen Einfluss auf die Sexualpädagogik
Voß gehört zur Generation junger Sexualpädagogen der Kentler-Sielert-Schule, die kaum noch direkten Kontakt zu Kentler gehabt haben dürften, der 2008 verstarb. Ein öffentlich einsehbarer Bezugspunkt zu Kentler ist Voß’ Rezension zu Teresa Nentwigs umfassendem Werk „Im Fahrwasser der Emanzipation? Die Wege und Irrwege des Helmut Kentler“.
Ähnlich wie in den zwei Stellungnahmen der GSP zu Kentler (vgl. hier und hier) ignoriert Voß den immensen Einfluss des Begründers der emanzipatorischen Sexualpädagogik auf die heute verbreitete neo-emanzipatorische Sexualpädagogik. Der „hohe Sockel“, auf den Nentwig Helmut Kentler hebe, sei kritisch zu hinterfragen, schreibt Voß in seiner Rezension. Kentler sei „eine Stimme unter vielen“ und habe „nachträglich – auch durch seine gelungene Selbstdarstellung – viel Gewicht erhalten“.
Kentler mit Kentler bekämpfen
Auch in seiner „Einführung in die Sexualpädagogik und Sexuelle Bildung“ schreibt Voß, dass die deutlichen Bezüge auf Kentler aus fachlicher Sicht kaum nachzuvollziehen seien. Voß widerlegt jedoch seine eigene Einschätzung, da er nur einen Satz später indirekt die Verbreitung von Kentlers Pädagogik empfiehlt. Es fänden Überlegungen statt, so drückt sich Voß distinguiert aus, Fragen der Prävention von sexualisierter Gewalt als ein Themenfeld der „sexuellen Bildung“ zu sehen.
Die Paradoxie ist hierbei folgende: Man will Kentler mit Kentler bekämpfen. Strukturelle sexuelle Gewalt und Missbrauch auf institutioneller Ebene, die im „Fahrwasser der Emanzipation“ besonders gut gediehen und eng mit dem Namen Kentler verbunden sind, will man sexualpädagogisch eindämmen – und dies ausgerechnet mit pädagogischen Grundannahmen, die Kentler wie kein zweiter in die Sexualpädagogik einfließen lies, und die heute in der „sexuellen Bildung“ fortwirken. Annahmen zudem, für die es keine wissenschaftlich valide Basis gibt:
„Sexuelle Bildung beginnt im Säuglingsalter“
Wie Jahrzehnte zuvor Kentler, so betont auch Voß im Kapitel „Sexuelle Bildung ist ein Prozess der Selbstaneignung, der unterstützt werden kann“, dass sexuelle Bildung „im Säuglingsalter beginnt“. Den Begriff „sexuelle Bildung“ definiert Voß so:
Damit wird der lebenslange Prozess der Selbstaneignung von Wissen und Kompetenzen durch jeden einzelnen Menschen im sexuellen Bereich bezeichnet. Dieser Prozess kann durch pädagogische Bildungsangebote begleitet werden.
Unbestritten ist, dass jeder Mensch eine sexuelle Lerngeschichte hat. Hingegen ist durch keine seriöse entwicklungspsychologische Studie belegt, dass diese im Säuglingsalter beginnt, beziehungsweise dass Kinder von Geburt an „sexuelle Wesen“ seien, wie Kentler schreibt.
Widerspruch – „Selbstaneignung“ vs. „durch pädagogische Bildungsangebote begleitet“
Noch problematischer ist der pädagogische Spielraum, den die Formulierung „Prozess der Selbstaneignung“ aufmacht. Denn: Welchen Input steuert der Pädagoge diesem Prozess bei? Die Bildungsangebote, die die Anhänger der „sexuellen Bildung“ für die Selbstaneignung ihrer Schüler bereithalten, stammen tendenziell eher aus queeren Kontexten während traditionelle Lebensentwürfe eher negativ konnotiert und als „repressiv“ zurückgewiesen werden.
Selbstbestimmt kann „sexuelle Bildung“ also nur sein, wenn nicht das Menschenbild des Pädagogen dominiert. Sondern wenn sich die jungen Adressaten mit den unterschiedlichen Vorstellungen von Sexualität auseinandersetzen, mit denen sie in einer pluralen Gesellschaft konfrontiert werden. Und darauf kommt es vor allem an: Dass sie sich auch auseinandersetzen mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen.
Generell ist jedoch zu klären, ob „sexuelle Bildung“ überhaupt etwas in der Schule oder Kita zu suchen hat. Viele Eltern wollen eine Schule ohne „pädagogische Bildungsangebote“ im Bereich der Sexualität. Und schon gar nicht wollen sie, dass der „Prozess der Selbstaneignung“ durch einseitige Bildungsangebote in bestimmte emanzipatorische Richtungen gelenkt wird, die letztlich Sexualität vom Beziehungs- und Fortpflanzungsaspekt entkoppeln und einzig dem Lustprinzip unterordnen.
Die Annahme, dass der „Prozess der Selbstaneignung“ pädagogisch begleitet werden müsste, fußt wiederum auf Kentler, der schreibt: „Sexualität ist eine von Geburt an zu fördernde Grundfähigkeit, die wie Sprechen oder Laufen durch Übung erlernt werden muss. Jedes Kind hat ein Recht auf ein eigenes Sexualleben.“
Lehrpläne zur Sexualerziehung beinhalten „in gutem Maß Vielfalt sexueller Orientierung“
Voß investiert viele Seiten, um sich von Kentler und seinem Begriff einer „emanzipatorischen Pädagogik“ abzugrenzen. Anhand ausführlicher Zitate aus Kentlers Schriften widerlegt er die Annahme, dass Kentler mit seinen Thesen zu sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen nicht nur Jugendliche sondern auch Kinder gemeint hatte.
Der Begriff „emanzipatorische Sexualpädagogik“ sei fälschlicher Weise eng an Kentler gekoppelt, behauptet Voß. Aber die Assoziation bestehe nun einmal. Wegen Kentlers Verstrickung in sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sei der Begriff „emanzipatorische Sexualpädagogik“ deshalb unbrauchbar geworden.
Doch jenseits der begrifflichen Einordnung und Abgrenzung zu Kentler konstatiert Voß in der heutigen Sexualpädagogik eine positive Entwicklung. Denn mittlerweile seien in allen Bundesländern Richtlinien und Lehrpläne zur Sexualerziehung erlassen worden, die „oft in gutem Maß der Vielfalt sexueller Orientierung Rechnung“ tragen würden.
Bezug auf Freud: Sexualtrieb als Quelle der infantilen Sexualität
Kentler gratuliert im Geiste, doch wirklich begeistert wäre der Mentor von Uwe Sielert über Voß’ Kapitel „Zur psychosexuellen Entwicklung: Unterscheidung von Kinder und Erwachsenensexualität“. Denn hier wendet Voß für kindliches Verhalten unnötigerweise den Begriff „sexuell“ an und bezieht sich dabei auf Sigmund Freuds Phasenmodell der psychosexuellen Entwicklung:
Die Vorstellung von einer infantilen Sexualität mit naturhaft vorgezeichneten Phasen von oralen, analen und phallischen Lüsten präge „die heutige wissenschaftliche Perspektive ganz wesentlich“. Hier zitiert Voß den Sexualforscher Gunter Schmidt:
Die Vorstellung von einer infantilen Sexualität geht auf Sigmund Freud zurück, der „die Berechtigung, diese Formen der Sinnlichkeit ‚sexuell‘ zu nennen, (…) aus der Annahme (nimmt), dass sie energetisch aus der gleichen Quelle wie die spätere Sexualität gespeist werden: vom Sexualtrieb, der Libido.“
Jenseits der pädagogischen Diskurse gilt Freuds Phasenmodell als überholt
Es gibt jedoch keine wissenschaftlichen Belege aus der Entwicklungspsychologie für die These von der „kindlichen Sexualität“. Die Behauptung wird lediglich im pädagogischen Diskurs (Kentler, Sielert, WHO, BZgA, Maywald) immer wieder aufgegriffen, mit Freud als einziger Referenz. Freud bezog sich auf seine eigene „Selbstanalyse“ sowie auf Kindheitserinnerungen, Fantasien und Träume von Erwachsenen, die sich bei ihm in psychoanalytischer Behandlung befanden. Aus diesen Schilderungen leitete er sein Phasenmodell (Orale Phase, Anale Phase, Phallische Phase, …) ab. Seitdem hält sich der Begriff der „psychosexuellen Entwicklung“ von Kindern.
In der Entwicklungspsychologie gilt Freuds Phasenmodell, das nicht auf valider, empirischer Kinderforschung beruht, inzwischen als historisches Relikt. Die moderne Bindungsforschung bewertet das Verhalten von kleinen Kindern teils gänzlich anders als Freud. Das Bindungsverhalten von Kindern, ihr auf die Eltern ausgerichtetes Nähe- und Kuschelbedürfnis, oder etwa der Saugreflex bei Säuglingen sind psychodynamisch anders gelagert als sexuelle Empfindungen ab der Pubertät. Sexualität ist hormonell getriggert, weshalb der Begriff der „psychosexuellen Entwicklung“ für kindliches Verhalten unpassend und irreführend ist. Folglich gibt es auch keine „kindliche Sexualität“, keine kindlichen „sexuellen Gefühle“ und Kinder sind keine „sexuellen Wesen“, wie Kentler behauptete.
Voß bespricht im Kapitel „Sexualpädagogik in der Kita“ die Freudschen Thesen zur „kindlichen Sexualität“, die in die Konzeption der „sexuellen Bildung“ Eingang gefunden haben. Dass sie in der Entwicklungspsychologie als überholt gelten, erwähnt er nicht. Ebenso unkritisch fällt sein Überblick über sexualpädagogische Kita-Konzepte aus, die im Sinne der „sexuellen Bildung“ sogenannte Körpererkundungsspiele empfehlen. Voß hebt die „Relevanz“ solcher sexualisierenden Konzepte für Kita- und Grundschulalter hervor.
Die Bemühungen des ersten Juniorprofessors für „sexuelle Bildung“, sich von Kentler abzugrenzen, sind also eher formaler Natur. Tatsächlich setzt Voß’ sexualpädagogisches Wirken Kentlers Vorstellungen von Sexualerziehung inhaltlich modernisiert um: „Sexuelle Bildung“ von Geburt an und die Verankerung von „sexueller Vielfalt“ in den Bildungsplänen.
Hinweis: Das Titelbild dieses Beitrags wurde mithilfe künstlicher Intelligenz generiert und stellt keine reale Szene dar.