Das tabuisierte Schicksal der Trennungskinder

Trennungskinder sind Opfer einer Scheidungskultur, die auf dem Rücken der Kinder vor Gericht das „Kindeswohl“ zu einem „Elternwohl“ instrumentalisiert. Trotz der Brisanz ist das Leiden der Trennungskinder ein Tabuthema und spielt im familienpolitischen entweder eine untergeordnete Rolle oder wird schöngeredet. Damit muss Schluss sein. Ein Kommentar von Gastautor Eckhard Kuhla.

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Jeden Freitag und Sonntag Nachmittag kann man sie auf den Bahnsteigen sehen: Es sind Trennungskinder, die mit Ihrem Vater zu ihrer Mutter fahren. Arbeitstäglich werden es immer mehr: rund 400 Kinder, unglaublich. Per Gerichtsbeschluss wurden sie gegen ihren Willen zu Scheidungskindern. Schaut man in die Gesichter der Kinder, meint man eine stille Traurigkeit zu erkennen. Man mag gar nicht darüber weiter nachdenken. Scheidungskinder erfahren erst nach dem Gerichtsbeschluss, dass sie nun mit der Mutter zusammenleben müssen und ihr Vater die Wohnung verlassen muss. Für minderjährige Kinder ein schier unfassbares Ereignis.

Das Erleben eines Trennungskindes

Vor der Scheidung: Ungewohnt erlebt das Kind seine Eltern plötzlich als sich streitende Menschen. Natürlich ist es für die Eltern äußerst schwierig, neben ihren eigenen Konflikten, auch noch ihr Kind während der Trennungszeit achtsam im Auge zu behalten. Aber gerade in dieser Phase hätte das Kind es bitter nötig, umarmt zu werden, und wie ein Subjekt mit eigenen Wünschen und Gefühlen behandelt zu werden. Die Ungewissheit des Kindes steigert sich stetig. Seine Eltern reden kaum noch in Liebe miteinander. Eine Welt bricht für das Kind zusammen, ganz allein muss es damit fertig werden.

Nach der Scheidung: Die Elterntrennung ist nun vollzogen, der Vater (zu 80 Prozent der Scheidungsfälle)) verlässt die Familie. Es ist wie ein Paukenschlag für das Kind, manche Psychologen nennen es eine „Katastrophe“ im Leben eines Kindes. Diese neue Situation kann eine Kinderseele kaum verarbeiten. Deswegen kann sich dies Erlebnis bei fehlender seelischer Begleitung in den Folgejahren zu einem Trauma entwickeln. Eine mögliche spätere Psychotherapie im Erwachsenenalter kann Jahre dauern.

Später: Das Gefühl des Kindes, verlassen zu sein, nimmt weiter zu. Der Vater hat die Familie verlassen, Mutter und Kind räumen die elterliche Wohnung und ziehen in eine kleinere Wohnung. Wieder entsteht eine neue Situation für das Kind. Die neue Umgebung, und besonders der Verlust ihres Freundeskreises lastet auf dem Kind, es braucht Wochen, ja Monate, das zu verarbeiten.

Der Vater ist aus dem Blickfeld des Kindes verschwunden. Von immenser Bedeutung für das Kind ist jetzt das Bild, das die Mutter vom abwesenden Vater zeichnet. In der Hälfte der Fälle erlischt die Erinnerung an den Vater nach wenigen Jahren. die notwendige väterliche Prägung durch den Vater findet kaum noch statt. Das Kind ist nun allein mit seiner Mutter. Sie ist allerdings jetzt in der Regel der Fälle berufstätig und für viele Stunden außer Haus. Das Kind muß fremdbetreut werden. Damit schrumpft gemeinsame Zeit der Mutter mit ihrem Kind auf wenige Momente. Ein Teufelskreis: mit Zunahme der Einsamkeit zieht sich das Kind mehr und mehr zurück.

Trennungskinder werden so zu Opfern, zu Objekten einer Scheidungskultur, die auf dem Rücken ihrer Kinder vor Gericht das „Kindeswohl“ zu einem „Elternwohl“ instrumentalisiert.

Über die Trennungsmütter erfährt die Gesellschaft sehr viel mehr als über die Trennungskinder, es ist die „Alleinerziehende Mutter“. Diese wird von Feministinnen quasi als „Ikone“ hochgehalten, denn sie ist die Frau, die sich selbstbewußt „befreit“ hat, befreit von der finanziellen Abhängigkeit von ihrem Mann und dem Vater ihrer Kinder. Sie hat das Sorgerecht für ihr Kind, welches damit zur Pflicht wird, das Kind zu versorgen. Auf diese Weise gerät die Mutter in eine neue Abhängigkeit: sie muss sich um den Ersatz des ehemaligen Haupternährers kümmern. Fallen die Unterhaltszahlungen des Vaters ihres Kindes weg, tritt ein anderer Vater, der „Vater Staat“, an seine Stelle, falls die Mutter nicht erwerbstätig werden kann.

Die seit langem schon jetzt nachweisbaren Negativfolgen für die Trennungskinder zeigen, wie sehr die Justiz und die Beratungseinrichtungen zunehmend durch die Probleme überfordert sind. Bisherige Leitlinien der Rechtsprechung haben nicht wesentlich zu einer Linderung der Probleme geführt. Im Gegenteil: ausgehend von dem konstant hohen Anteil an Kindern getrennter Familien (etwa 25 Prozent sind betroffene Kinder) spitzen sich die Verhältnisse eher zu.

Eine absolute Horrorvorstellung stellen in hochstrittigen Fällen die sogenannten „Inobhutnahmen“ von Trennungskindern durch die Jugendämter dar. Konkret bedeutet das: ein Abholen des Kindes mit polizeilicher Begleitung von der Haustür, DAS bleibende Erlebnis für die betroffenen Kinder.

Schicksale von Trennungskindern werden von den Medien bisher kaum thematisiert. Trennungskinder nehmen häufiger Drogen, leiden mehr unter psychischen Störungen als die übrigen Schüler, ihre schulischen Leistungen liegen unter dem Durchschnitt und ihre ADHS-Gefährdung liegt bei über 30 Prozent.

Die Folgen für das Kind werden klein geredet

Wenn in den Medien über die Trennungskinder berichtet wird, werden obige Phänomene oft beschönigt und relativiert, so würden beispielsweise in Trennungsfamilien sowie oft vor der Trennung viel gestritten. Und schließlich warnen einige Experten davor, sich nur auf die negativen Auswirkungen einer Scheidung zu konzentrieren, da diese die individuellen Anpassungsleistungen der betroffenen Kinder verdecken würden. No comment.

Kann es sein, dass Frauengruppen das Thema Trennungskinder kleinreden, um die freie Entscheidung der Mütter, sich von ihren Männern zu trennen, nicht zu hinterfragen? Schließlich werden über 70 Prozent der Scheidungsanträge von Frauen gestellt. Dieses und das Thema Trennungskinder gehört immer noch zu den Tabuthemen. Selbst im Kinderausschuss des Deutschen Bundestages spielt das Thema bislang nur eine untergeordnete Rolle.

Neben der eigentlichen Elterntrennung droht aber für viele Trennungskinder noch ein zweites Ungemach hinsichtlich ihrer Beziehungserfahrungen: der erziehende Elternteil, zumeist die Mütter, geht eine neue Partnerschaft ein. Und da ist es wieder: das Gefühl der betroffenen Kinder, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Verstärkt wird dieses Gefühl., wenn der neue Partner gleichsam als „Vaterersatz“ noch mit in die Wohnung einzieht. Eine „Patchwork“-Familie entsteht.

Wie geht die Öffentlichkeit damit um? Gerade die Patchwork-Familie wird medial zumeist positiv dargestellt, günstigenfalls als eine „Herausforderung“ für alle Beteiligten. Es heißt dann auch beschönigend: Das Trennungskind würde in der Patchwork-Familie eine neue Erfahrungswelt bekommen, die zudem seine Reifeentwicklung beschleunigt, verglichen mit einem Kind in einer heilen Familie. Nein! Das Kind leidet schlicht und ergreifend. Die Tatsache des „Geworfensein“ überdeckt jegliche Offenheit für weitere Situationsveränderungen.

Neben der Tabuisierung der psychischen Folgen der Trennungskinder und das Schönreden der Patchwork-Familie kommt noch ein Drittes hinzu: es sind die teilweise noch unbekannten psycho-sozialen Langfristfolgen von Trennungskindern für die Zeit ihres Erwachsenwerdens. Es liegt noch wenig brauchbares und wissenschaftlich abgesichertes Material vor. Was aber als abgesichert angesehen werden kann, ist die häufige Weigerung von Trennungskindern, später feste Bindungen einzugehen und die höhere Scheidungsrate von Scheidungskindern.

Entfremdung: Wenn der Vater zum Monster wird

Ebenso wenig bekannt in der Öffentlichkeit ist das Phänomen der Eltern-Kind-Entfremdung. Dabei „mutiert das ehemals geliebte Elternteil (zumeist Vater) zu einem Monster“ (DIE ZEIT), hervorgerufen durch entsprechende Erzählungen der Mutter,um den Vater gegenüber dem Kind zu entfremden. Die Motive für ein Entfremden durch die Mutter sind vielfältig: sei es zu Erlangung des Sorgerechts in einem Scheidungsverfahren, aber auch – man glaubt es kaum – als eine Form der Rache dem Ex-Mann gegenüber.

Da häufig die Väter von der Entfremdung ihres Kindes betroffen sind, ist das Entfremdungssyndrom ein typisches Beispiel für einen möglichen ideologischen Einfluss feministischer Frauengruppen. Ihr jahrelanges Interesse galt und gilt natürlich dem Schutz der alleinerziehenden Mutter.

Wie geht es weiter? Die geringere Zunahme von Scheidungen in jüngster Zeit und die coronabedingte Rückkehr zur einer (zwar erzwungenen) Häuslichkeit unterstreichen die Erfahrung: die „Familie“ kann das Zusammenleben in Krisenzeiten unterstützen. Die Familie hat sich schon immer als krisenfest in Notzeiten erwiesen. Andere Formen des eheähnlichen Zusammenlebens erweisen sich dann doch als Wohlstandsphänomen – ebenso wie die Trennung von Eheleuten als ein Akt der Selbstverwirklichung.