Die Kontaktschuld der “transphoben Biologin”

Die Humboldt-Universität Berlin lädt zur Podiumsdiskussion über Wissenschaftsfreiheit. Anlass ist ein wegen queerer Proteste abgesagter Biologie-Vortrag zur Zweigeschlechtlichkeit. Solche “kontroversen Minderheitenmeinungen” sollen künftig “besser kontextualisiert” werden, verspricht der Präsident der Universität.


Vor ein paar Wochen noch war die Welt des Berliner Biologieprofessors Rüdiger Krahe in bester Ordnung. Wie Fische über elektrische Felder interagieren, das ist das, was Krahe wirklich interessiert. Seit kurzem zählt er zu den bekanntesten Biologen Deutschlands. Er wird mit Fragen bombardiert: Ob Biologie menschenverachtend sei oder ob seine wissenschaftlichen Methoden nicht überholt seien? Die Fragen lassen sein E-Mail-Postfach überquellen und Journalisten rufen an.

Am Abend des 14. Juli sitzt Krahe auf dem Podium im Audimax II der Humboldt-Universität. Neben ihm der Präsident der Uni, Peter Frensch. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger (FDP) ist live zugeschaltet. Fernsehsender haben ihre Kamera aufgebaut. Das Audimax ist randvoll, die Veranstaltung ausgebucht. Es geht nicht um elektrische Fische. Der Titel der Podiumsdiskussion lautet: „Meinung, Freiheit, Wissenschaft – der Umgang mit gesellschaftlichen Kontroversen an Universitäten.“

Krahe befindet sich im Rampenlicht, weil er der Doktorvater von Marie-Luise Vollbrecht ist, die zusammen mit vier weiteren Wissenschaftlern in der Welt den Gastbeitrag “Wie ARD und ZDF unsere Kinder indoktrinieren” veröffentlicht hat. Dieser Beitrag hat ein politisches Beben ausgelöst. Fünf politisch unbescholtene Wissenschaftler haben sich zusammengetan und in einer großen Zeitung die enge Verbindung der Transgender-Lobby in Politik und Medien aufgezeigt, vor den Gefahren der Trans-Mode für Kinder gewarnt, und somit das Narrativ der diskriminierten, friedfertigen und mit sich selbst beschäftigten queeren Minderheit in Frage gestellt.

Von einer Absage sei nie die Rede gewesen

Nach kurzer Schockstarre schoss das queere und woke Milieu aus allen Rohren. Sogar Springer-Chef Mathias Döpfner sah sich genötigt, sich öffentlich zu entschuldigen und den Beitrag als “unterirdisch” zu diffamieren. Doch die Katze war aus dem Sack. Der Skandal war in der Mitte der Gesellschaft angekommen, die Mechanismen der Cancel Culture griffen nicht mehr. Und so mag Unipräsident Frensch Blut und Wasser geschwitzt haben, als sich Vollbrecht mit einem eigentlich staubtrockenen Fachvortrag zur Geschlechter-Biologie zur “Langen Nacht der Wissenschaft” angemeldet hatte. In einer Zeit, in der die Gender-Ideologie Staatsreligion ist, ist ein Titel wie “Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt” an sich schon eine Provokation. In Kombination mit Vollbrecht als Referentin mag er jedoch aus queerer Sicht einer Kampfansage gleichkommen. Denn sie ist inzwischen viel zu bekannt, als dass die Uni ihren Vortrag einfach stillschweigend aus dem Programm hätte streichen können.

Erst als der „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ einen Protest gegen die “transfeindliche” Doktorandin in der Nacht der Wissenschaft anmeldet und aufwiegelnde E-Mails an sämtliche Studenten versendet, kann Frensch Vollbrechts Vortrag aus “Sicherheitsbedenken”, wie er sagt, absagen. Aus der Absage wird eine Verschiebung beziehungsweise soll von einer “Absage” nie die Rede gewesen sein. Das beteuert Frensch auf dem Podium mehrfach. Zuvor hatten sämtliche Medien bis hin zur Bild-Zeitung über den abgesagten Beitrag von Vollbrecht berichtet.

Um den Gesichtsverlust für die altehrwürdige Humboldt-Uni irgendwie noch abzuwenden, bietet man Vollbrecht einen Wiederholungstermin für ihren Vortrag an. Ein Lippenbekenntnis zur viel beschworenen Wissenschaftsfreiheit, denn auf der direkt im Anschluss stattfindenden Podiumsdiskussion will man die politische Situation mit Blick auf die Referentin und ihren Vortrag “kontextualisieren”. Man wolle miteinander ins Gespräch kommen.

Vollbrecht tut das einzig richtige, sie hält ihren Vortrag und sagt für die Diskussion ab, mit der Begründung, ihre Person und ihre Meinungsäußerungen seien “irrelevant” für die Auseinandersetzungen mit den Inhalten ihres Vortrags. Sie vermute, auf dem Podium werde es nicht viel um Biologie gehen.

“Als Wissenschaftlerin disqualifiziert”

Sie sollte Recht behalten. Es war ein zähes Lavieren. Den Anschein von Meinungsfreiheit aufrecht erhalten einerseits, der Gender-Ideologie das Wort reden andererseits. Sie sei ein “freudiger Teil einer Regierung, die sich für das neue Selbstbestimmungsgesetz stark mache” unterstrich die Wissenschaftsministerin Stark-Watzinger ihre ideologische Nähe zur Trans-Bewegung, doch auch die “Orte der Debatte” seien zu schützen.

Der Uni-Präsident ergänzte, man habe die Symbolwirkung vermeiden wollen, die mit dem Polizeischutz des Vollbrecht-Vortrags einhergegangen wäre. Was hätte denn das für ein Licht auf die Uni und die berechtigte Kritik an den kontroversen Inhalten geworfen. Schließlich würde die Meinung von Vollbrecht von “einer Mehrheit der Studierenden und Mitarbeiter*innen” der Universität nicht unterstützt. Es sei eine ganz schwierige Situation gewesen, meinte auch Stark-Watzinger, die sie in Zukunft so lösen würde: “Stattfinden lassen, ohne sich mit den Inhalten gemein zu machen.”

Aus dem Publikum, das gelegentlich mit einbezogen wurde, kam der Einwurf, worin denn in der Wiedergabe von biologischem Grundwissen die Kontroverse bestehe. Wissenschaftliche Erkenntnisse seien nicht festgeschrieben, sondern würden im Zuge des gesellschaftlichen Wandels “immer wieder neu ausgehandelt”, meinte dazu die gender-affine Geschichtswissenschaftlerin, Kerstin Palm. Vollbrecht habe in ihrem Vortrag einseitig aus einem alten biologischen Verständnis heraus über Geschlecht gesprochen. Wenn sie den aktuellen Forschungsstand der Gender-Studies schon nicht einbeziehe, so Palm, hätte sie ihren Beitrag wenigstens als “eine mögliche Posititon” kennzeichnen müssen. Angesichts Vollbrechts Meinungsäußerung in der Welt müsse man sich außerdem fragen, ob die Doktorandin sich nicht “als Wissenschaftlerin disqualifiziert” habe.

Krahe, der mit dieser pseudowissenschaftlichen Aggression gegen Vollbrecht sichtlich überfordert war, verstrickte sich in biologischen Argumentationen. Und Frensch erklärte, man würde bei der Auswahl der Referenten künftig besser aufpassen und gegebenenfalls Vorträge von “umstrittenen Personen” als “kontroverse Meinungsäußerung” ankündigen und in einem entsprechendem Rahmen platzieren.

Queere Menschen würden “vernichtet”

Ein Feuerwerk an gängigen Diffamierungsphrasen ließ der Vorstand des Schwulen Museums Berlin, Heiner Schulze, vom Stapel. Vollbrecht sei sozial vernetzt in einem Umfeld, das “rechtsextremes Gedankengut” und “Gewaltfantasien gegen Trans-Menschen” teile. Belege führte er keine an, stattdessen behauptete er allgemein, wie die LGBTQI-Community zu leiden hätte und wie “queere Menschen vernichtet” würden.

Auch Jenny Wilken, von der “Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.” attestierte Vollbrecht und ihren Unterstützern “gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit”. Es gebe Verbindung zu “Rechtsextremen”. Auf die Nachfrage aus dem Publikum, ob sie das belegen könne, bemühte sich Wilken, eine Kontaktschuld über mehrere Ecken vorzurechnen:

Vollbrecht hänge mit dem feministischen “RadFem Kollektiv Berlin” zusammen, das mit der US-amerikanischen Feministin Julia Beck in Verbindung stünde, die wiederum angeblich zur konservativen “Heritage Foundation” gehöre. Beck ist jedoch überhaupt kein Mitglied bei Heritage, sondern hielt lediglich im April 2019 einen Vortrag auf einer Veranstaltung der “Heritage Foundation”. Die “Heritage Foundation” ist eine Denkfabrik in den USA und steht den Republikanern nahe.

Das Ergebnis des “Miteinander-ins-Gespräch-Kommens” lautet zusammengefasst in vier Punkten:

1. Die Biologie ist eine Ansammlung kontroverser Meinungen und bedarf der Kontextualisierung durch die Gender-Studies.

2. Die Humboldt-Universität hat bei der Auswahl der “Referent*innen” künftig einen Blick auf deren wissenschaftliche Integrität.

3. Kontroverse Minderheitenmeinungen wie die biologische Zweigeschlechtlichkeit müssen als solche ersichtlich gemacht und anderen Meinungen gegenübergestellt werden.

4. Marie-Luise Vollbrecht ist eine Menschenfeindin.