Die Kritiker des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) haben die Anhörung der Sachverständigen im Deutschen Bundestag genutzt, um die zentralen Argumente, die gegen das geplante Gesetz sprechen, öffentlich zu Protokoll zu geben. Ein Videomitschnitt der Veranstaltung sowie sämtliche Stellungnahmen sind beim Deutschen Bundestag abrufbar. Wir haben die wichtigsten Aussagen der Experten zu den drohenden Gefahren für Jugendliche und Frauen für Sie zusammengefasst:
Till Randolf Amelung: Deutschlands gefährlicher Sonderweg
Till Randolf Amelung publiziert seit vielen Jahren zu geschlechterpolitischen Themen und ist selbst Transgender. Amelung reichte eine der umfassendsten Stellungnahmen ein, in der neben einer grundsätzlich Einordnung der Begrifflichkeiten und Problematiken auch die beiden großen Kritikpunkte – Missbrauch des SBGG durch biologische Männer und gefährdete Jugendliche – enthalten sind:
Wer Hintergründe zur Debatte um sogenannte Trans-Frauen in Frauenschutzräumen sucht, wird hier fündig. Amelung dokumentiert zahlreiche Fälle von Männern, die sich bereits durch einen Geschlechtswechsel per Sprechakt einen Vorteil oder Zugang in Frauenräume verschafft haben. Ob Quotenplatz, früherer Renteneintritt oder Zugang zur Damensauna – die Fälle sind vielseitig und sie zeigen, welche Kreativität das SBGG künftig bei Männern freisetzen wird, die von der kulturellen Ungleichbehandlung des schwächeren Geschlechts profitieren oder einfach nur einen perversen Trieb ausleben wollen. Amelung stellt klar: Juristische Schlupflöcher würden ausgenutzt, sobald sich jemand einen individuellen Vorteil davon verspricht.
Wie psychisch labile Jugendliche, die sich selbst als trans diagnostizieren, international zum Spielball der von Transaktivisten beeinflussten Gender-Medizin wurden, ist Amelungs zweite These. Die zunehmend kontroverse Sicht in England und Skandinavien – ehemalige Vorreiter in der Trans-Medizin für Kinder – auf den trans-affirmativen Behandlungsansatz diente dabei als Parameter für den Irrweg, den das SBGG den gefährdeten Jugendlichen in Deutschland eröffnet: Unter den Jugendlichen, die eine soziale, rechtliche und dann auch meist medizinische Transition leben und fordern, befinden sich zu großen Teilen solche „mit konflikthafter homosexueller Entwicklung, anderen tiefgreifenden Pubertätskrisen, sexuellen Missbrauchserfahrungen sowie Jugendlichen aus instabilen familiären Verhältnissen, mit komplexen psychischen Erkrankungen oder Behinderungen.“
Eine Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrages würde eine zu frühe Weichenstellung bei denjenigen Jugendlichen begünstigen, die eigentlich mehr Zeit und Unterstützung für andere Lösungen ihrer Probleme mit dem Geschlecht benötigen.
Wird den betroffenen jungen Menschen diese Unterstützung aus aktivistischer oder gut gemeinter progressiver Haltung verwehrt, sind fatale und irreversible Fehlentscheidungen die Konsequenz. Amelung verweist auf das zunehmende Phänomen der Detransitioner (Jemand, der seine Geschlechtsumwandlung bereut und versucht, rückgängig zu machen) und schildert die Erfahrung als Moderator einer Online-Selbsthilfegruppe für Detransitioner. Fast alle der über 50 dort aufgelaufenen Fallgeschichten „hatten nicht oder nicht ausreichend bearbeitete psychische Komorbiditäten oder Traumaereignisse als Hintergrund“, warnt Amelung.
Aglaja Stirn: Selbstbestimmungsgesetz ist ein Fremdbestimmungsgesetz
Aglaja Stirn ist Sexualmedizinerin und Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Sie verweist in ihrer Stellungnahme auf die erheblichen Risiken, die mit dem neuen Gesetz für Minderjährige mit Identitätskrisen einhergehen. Sie seien „zumeist nicht in der Lage, Bedeutung, Tragweite und Folgen einer solchen Entscheidung einschätzen zu können.“ Die soziale und rechtliche Transition setze eine Dynamik frei, in der psychologisch gesehen bereits Fakten geschaffen würden. Daher sei das Risiko groß, „dass Folgeschritte nicht mehr mit gebotener kritischer Distanz betrachtet werden“, warnt die Ärztin. Erst recht sei Pubertierenden in der Identitätssuche kein irreversibler Schritt empfohlen. Und entschieden spricht sie sich gegen eine Peer-to-Peer-Beratung aus, die wegen fehlender Neutralität keine Psychotherapie ersetzen könne. Vielmehr sei im Milieu der Trans-Community ohnehin schon der „Einfluss von Peer-Gruppen und damit das Risiko ‚sozialer Ansteckung‘ besonders hoch“, berichtet Stirn aus der Praxis. „Menschen, die sich damit beschäftigen, ob sie eventuell transident sein könnten, suchen zumeist zunächst ‚queere‘ Gruppen auf.“ Der dort vorherrschende Gruppendruck mache den Rückweg schwierig.
Aus gruppendynamischer Sicht ändert sich, wenn der Weg in Richtung Transition begonnen wird, die Gruppenzugehörigkeit. Eine Entscheidung über einen eventuellen Weg zurück wird durch ein „Schamproblem“ sowohl gegenüber der ursprünglichen als auch der neuen Gruppe erschwert.
Wenn der Weg einmal beschritten worden sei, habe kaum jemand die Kraft umzukehren. Durch die massiven und teilweise irreversiblen chemischen und operativen Eingriffe würden die Betroffenen lebenslang zum Patienten. Dem gegenüber stehe ein Lebensweg, in dem sich die pubertäre Selbstdiagnose „trans“ im Entwicklungsverlauf nicht weniger Kinder und Jugendlicher nachträglich als Fehleinschätzung herausstellt – wenn dieser Entwicklung der notwendige Raum gegeben werde.
Zudem setzt sich Stirn bissig mit den ideologischen Kurzschlüssen des Gesetzestextes auseinander: So beruhe das SBGG auf der antiquierten Annahme, Körper und Geist seien voneinander getrennt zu betrachten. Aus der psychosomatischer Perspektive bedingen beide einander und man könne nicht einfach von einer „richtigen“ Seele im „falschen“ Körper sprechen. Und selbst wenn – woher soll ein „weiblicher Geist“ wissen, wie sich ein „männlicher Körper“ anfühlt?
Die im Gesetz verankerten Vorstellung, man könne seine Geschlechtsidentität im Jahrestakt verändern, offenbare die Sicht der Verfasser auf Identität und Körperidentität. Unsicherheit und Instabilität würden quasi vorausgesetzt. „Umso instabiler das Fundament ist, desto weniger sollte man aber irreversible Tatsachen schaffen“, mahnt die Ärztin mit Blick auf tausende Mädchen, für die das SBGG jedoch zur Bestätigung ihrer Selbstdiagnose werden wird.
Für die Gesellschaft insgesamt etabliere das SBGG einen permanenten Zwang zur kognitiven Dissonanz, denn es fordere eine Wahrnehmung gegen das eigene Gefühl und eine Realitätsverkennung:
Es wäre so, wie wenn man einer 35 kg wiegenden Anorexia-nervosa-Patientin, die einem sagt, sie sei fett, das bestätigt und es auch so sehen soll.
Insofern sei das Selbstbestimmungsgesetz auch ein Fremdbestimmungsgesetz, weil es die Wahrnehmung der gesamten Gesellschaft steuern möchte. Ihre grundsätzliche Kritik bringt Stirn so auf den Punkt: „Das Gefühl, von dem wir wissen, dass es auch flüchtig und instabil ist, täuschen kann und multikausal bedingt ist, wird zur Maxime erhoben.“
Bernd Ahrbeck: Versöhnung mit dem ursprünglichen Geschlecht
Ein weitere Kritiker des SBGG, der die seine Argumente zu Protokoll geben durfte, ist Professor Bernd Ahrbeck von der Psychoanalytischen Universität in Berlin. Er verdeutlicht ebenfalls die soziale Dynamik des sogenannten „Trans-Hypes“ bzw. des ROGD-Pähnomens. Vor allem Mädchen würden plötzlich während der Pubertät „über Genderdysphorie und Transitionswünsche berichten“. Dennoch liege dem Gesetzentwurf die Annahme zugrunde, dass diese Kinder aufgrund eines gesicherten inneren Wissens, das zeitüberdauernd ist, über das eigene Geschlecht und einen Geschlechtswechsel entscheiden können. „Das allerdings steht im Widerspruch zum wissenschaftlichen Erkenntnisstand“, mahnt Ahrbeck. Die empirische Forschung belege, dass die meisten der betroffenen Kinder sich längerfristig wieder mit ihrem ursprünglichen Geschlecht versöhnen. ROGD sei ein hochkomplexes und in sich dynamisches bio-psycho-soziales Phänomen, das sich nicht auf eine einzige verlässliche Quelle zurückführen lasse, also auch keine vorgegebene biologische Prägung.
Ahrbeck widerspricht dem zentralen Argument der Trans-Lobby, wonach die bisherige Regelung, die Expertengutachten vor der sozialen Transition fordert, zu demütigenden Befragungen führe. Die Psychiater und Psychotherapeuten würden als eine repressive Instanz dargestellt, die die Betroffenen qua ihrer Funktion als Gutachtenersteller zwangsläufig beschämen. Dieses beabsichtigte Zerrbild könne zumindest die Online-Selbsthilfegruppe „Transgender Germany“ (TGG) nicht bestätigen. So habe die TGG gut 400 Erfahrungsberichte zu Begutachtungsprozessen gesammelt, wobei es nur in zehn Fällen Klagen wegen eines als unangemessen und übergriffig erlebten Vorgehens gegeben habe.
Eine fachlich qualifizierte Beratung/Begutachtung ermöglicht es, dass in einem geschützten Raum über Wünsche und etwaige Bedenken gesprochen wird, sodass ein tiefergehendes Verständnis der sozialen und psychischen Gegebenheiten entstehen kann, das am Ende zu einem angemessenen Vorgehen führt.
Eltern: Soziale Transition als Weichenstellung für medizinische Maßnahmen
Neben den angeforderten veröffentlicht der Bundestag auch zahlreiche unaufgeforderte Stellungnahmen zum SBGG-Entwurf, die von Vereinen, Verbänden und Privatpersonen eingereicht wurden. Darunter sind viele Einreichungen von feministischen und lesbischen Gruppen, die an politischem Einfluss verloren haben und nun versuchen, sich auf diesem Weg noch etwas Gehör zu verschaffen.
Eine der größten vom SBGG betroffenen Gruppen, die kaum Zugang zur politischen Debatte hat, sind die Eltern der in die Trans-Falle geratenen Kinder. Die Not der Eltern von ROGD-Kindern ist so groß, dass sich zu professionell auftretenden Interessensgemeinschaften zusammengefunden haben, wie zum Beispiel: „TransTeens Sorge berechtigt“. Sie kritisieren in ihrer Stellungnahme, dass der Fokus des Gesetzes einseitig auf der Selbstbestimmung liege und der Schutz der Kinder außer Acht gelassen werde. Die Eltern machen klar, warum das Gesetz medizinische Entscheidungen beeinflusst:
Die stark vereinfachte Möglichkeit Namen und Personenstand zu ändern, signalisiert leichtgläubigen jungen Menschen unrealistischerweise, dass es ebenso einfach und zügig möglich ist, das physische Geschlecht zu wechseln.“ Die soziale Transition werde zur Weichenstellung für medizinische Maßnahmen: „Wenn erst Vorname und Personenstand geändert sind“, warnen die Eltern, „ist der Körper umso schwerer zu ertragen.“ In ihrer Notlage würden die Kinder meist keine andere Möglichkeit sehen und oft auch keine anderen Behandlungsoptionen angeboten bekommen.