Der Transgender-Experte Alexander Korte hätte bei der öffentlichen Anhörung zum „Selbstbestimmungsgesetz“ die volle Aufmerksamkeit gehabt. Der leitende Oberarzt an der Ludwig-Maximilians-Universität München behandelt seit 2004 Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie und warnt in zahlreichen Stellungnahmen, Beiträgen und Interviews vor den Gefahren des „Trans-Hypes“. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte Korte als Sachverständigen nominiert. Doch seine auf der Website des Familienausschusses veröffentlichte Stellungnahme war plötzlich verschwunden. Ohne Rücksprache mit Korte hatte die Union kurzfristig einen anderen Experten nominiert.
Die medizinische Fachzeitschrift Sexuologie hat Kortes Stellungnahme vollständig veröffentlicht. Wir haben die wichtigsten Fakten und Argumente zusammengefasst:
These 1: Begriffe wie ‚Geschlecht‘, ‚Gender‘ und ‚Geschlechtsidentität‘ unterliegen im politischen Diskurs einer Bedeutungsverschiebung, was zu „rechtspolitischen Fehlschlüssen“ und einer Gefährdung von Menschen mit Geschlechtsdysphorie führt.
Angesichts der Diskursmacht der Gender-Ideologie muss Korte zunächst den Stand der Wissenschaft betonen: „Im Gegensatz zur objektiv überprüfbaren biologischen Geschlechtszugehörigkeit ist Geschlechtsidentität ein psychologisches Konstrukt.“ Die Geschlechtsidentität sei das Ergebnis einer individuellen Bindungs-, Beziehungs- und Körpergeschichte sowie eines mitunter lebenslangen Prozesses der Identitätskonstruktion. Die Behauptung, die Geschlechtsidentität wäre angeboren, sei schlicht falsch.
Nun kann Korte auf die Transgender-Problematik zu sprechen kommen: „In seltenen Fällen weicht die subjektiv empfundene Geschlechtsidentität einer Person von ihrem objektiv gegebenen körperlichen Geschlecht ab.“
Kortes Kritik am „Selbstbestimmungsgesetz“: „Logisch unschlüssig“ setze der Gesetzgeber die personenstandsrechtliche Kategorie Geschlecht einfach mit dem psychologischen Konstrukt Geschlechtsidentität gleich. Laut Gesetz solle man nicht mehr zwischen dem subjektiven Zugehörigkeitsgefühl einer Person und ihrem körperlich-biologischen Geschlecht unterscheiden.
Wer einfach die personenstandsrechtliche Zuordnung im amtlichen Geburtsregister an das subjektive geschlechtsbezogene Identitätsempfinden der Person anpasse, gefährde die tatsächliche Selbstbestimmung der von Geschlechtsinkongruenz betroffenen Menschen, mahnt Korte. Werde die Entscheidung der geschlechtsdysphorischen Person selbst überlassen, könne das die therapeutisch notwendige Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit und der damit verbundenen Identitätsproblematik erheblich erschweren.
Eine vorschnelle und voraussetzungslose juristische Transition birgt die Gefahr, dass eine selbstkritische, tiefergehende Reflexion der individuellen kausalen Faktoren für den transsexuellen Wunsch und das damit häufig einhergehende ‚Umwandlungsbegehren‘ (die medizinische Transition) eben nicht stattfindet.
These 2: Minderjährige sind durch die geplanten Regelungen besonders gefährdet.
Problematisch sei aus jugendmedizinischer Sicht besonders die Regelung, dass Jugendliche ab 14 Jahren selbst eine Änderungserklärung abgeben dürfen. Im Konflitkfall mit den Eltern, die der sozialen Transition zustimmen müssen, können Familiengerichte im Sinne des Kindeswohls entscheiden.
Für Korte ist klar, dass nur ein Facharzt und kein Richter entscheiden kann, ob die Änderung der Angaben zum Geschlecht und der Vornamen dem Kindeswohl entspricht. Zudem bezweifelt Korte, „ob Elternrechte ausreichend berücksichtigt werden und Jugendliche mit vollendetem 14. Lebensjahr regelhaft in der Lage sind, Bedeutung, Tragweite und Folgen einer solchen Entscheidung einschätzen zu können.“
Diese Warnungen sind nicht neu, doch Korte bringt die Expertise dazu auf den Punkt, zum Beispiel was sich aus neurowissenschaftlicher Sicht hinter dem Begriff ‚Identitätsfindung‘ verbirgt:
Die Adolseszenz, „eine Phase der Neuorientierung und partiellen Neuerfindung“, so Korte, werde auch als „zweite psychische Geburt“ umschrieben. Die Neurowissenschaft konnte mittels bildgebender Verfahren belegen, dass in der Pubertät im Gehirn erhebliche Umbau- und Reorganisationsprozesse stattfinden. Das Gehirn von Pubertierenden ist eine Großbaustelle. Deshalb gilt laut Korte: Eine anhaltende Geschlechtsdysphorie mit einer dauerhaft fixierten transsexuellen Identität, kann erst nach Abschluss der Pubertät sicher diagnostiziert werden.
Das Begutachtungsverfahren bei minderjährigen Antragsstellern müsse beibehalten werden, fordert Korte, zumal ihre gesamte Anzahl trotz der epidemiologischen Dramatik noch nicht statistisch erfasst sei. Erklärungsbedürftig sei etwa, warum deutlich mehr Mädchen als Jungen betroffen sind und warum viele der jungen Patientinnen bereits psychiatrisch auffällig waren.
Neben der Mindestforderung, bei Minderjährigen weiterhin ein medizinisches Gutachten vorauszusetzen, kritisiert Korte die soziale Transition für Kinder generell:
Wir wissen aus Langzeitstudien, dass sich die Selbstdiagnose trans im Entwicklungsverlauf vieler Kinder/Jugendlicher nachträglich als Fehleinschätzung herausstellt. Dies setzt allerdings voraus, dass dem Kind ein Entwicklungsraum und Zeit gewährt wird. Es ist indes nicht realistisch, dass die betroffenen Kinder im Falle einer frühzeitigen, bereits in jungen Jahren durchgeführten personenstandsrechtlichen Transition imstande sein werden, gegen die dadurch geschaffenen Fakten anzugehen, sprich die getroffene Entscheidung mit all ihren Konsequenzen wieder rückgängig zu machen und einen anderen, alternativen Weg einzuschlagen.
Erste Studien zeigen, dass ein früher sozialer Rollenwechsel und transaffirmative Therapien die Rate der Kinder in die Höhe treiben, „bei denen die gegengeschlechtliche Identifizierung persistiert – mit allen damit verbundenen Konsequenzen“, schreibt Korte. Er teile nicht den „naiven Optimismus“, dass eine niederschwellige Personenstandsänderung positiv dazu beitrage, Klarheit in der Trans-Identität zu gewinnen, was dann zu sicheren Entscheidungen über medizinische Maßnahmen führen soll.
„Eine solche Argumentation unterschätzt die normative Kraft des Faktischen“, betont Korte, der sich auf empirische Erfahrung berufen kann: Mit der vollzogenen Personenstands- und Vornamensänderung steige die Wahrscheinlichkeit deutlich, dass Betroffene sich gedrängt fühlen, auch medizinische Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung einzufordern.
Etikettenschwindel und Ende der Meinungsfreiheit
Darüber hinaus geht Korte in seiner Stellungnahme auch auf Frauenrechts- und gleichstellungspolitische Aspekte sowie auf die Problematik des strafbewehrten Offenbarungsverbots ein. So sei es etwa abzulehnen, dass im Gesetzestext der Begriff ‚gebärende Person‘ statt Frau/Mutter verwendet werde. Insgesamt sei das „Selbstbestimmungsgesetz“ ein Etikettenschwindel.
So stellt Korte klar: „Tatsächlich geht es um die Forderung nach Bestätigung durch andere: dass andere einen als demjenigen Geschlecht zugehörig identifizieren, das man selbst für sich proklamiert.“
Das vorgesehene bußgeldbewehrte Offenbarungsverbot würde die ganze Gesellschaft unter Strafandrohung zwingen, eine Illusion zu bestätigen und Realität zu leugnen. Dabei gehe es nicht um seltene Fälle, warnt Korte, sondern „um nichts Geringeres als die Freiheit der Meinung, der Rede, des Gewissens sowie letztlich auch die der Wissenschaft.“